Ich habe hier in letzter Zeit eher über Themen geschrieben, die im unmittelbaren Arbeitsbereich eines Produktmanagers liegen. Die Zugriffsstatistiken zu meinem Blog zeigen mir, dass einige von Ihnen interessiert sind an Informationen aus meinem zweiten Themenkreis Volkswirtschaft und speziell Wirtschaftskrise.
Auch in Gesprächen im Kollegenkreis ist die Entstehen dieser Krise nach wie vor ein wichtiges Thema. Daher, möchte ich Ihnen heute von einem interessanten Buch zur gegenwärtigen Wirtschaftsverfassung berichten, das ich neulich gelesen habe. Ich konzentriere mich hierbei auf den ersten Teil, und werde diesen Beitrag fortsetzen.
Paul Krugman ist allgemein bekannt geworden, als er 2008 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. In den USA ist er einem breiten Publikum bereits als ein sehr kritischer Kolumnist geläufig. Die Fachwelt der Ökonomen (und die Studenten) kennt ihn aus seinen Fachbeiträgen. Ganz sicher kennen ihn die meisten wegen seiner Handelstheorien, auf deren Grundlage letztendlich die Globalisierungsdebatte geführt wird.
Sein Buch Paul Krugman – Die neue Weltwirtschaftskrise, (1999/2008, Frankfurt am Main) halte ich aus folgenden Gründen für lesenswert:
Er beginnt seinen Diskurs damit, daß er Robert Lucas und Ben Barnacke zitiert, die noch Anfang 2000 behauptet haben, dass die moderne makroökonomische Politik die Konjunktur im Griff hätte, d.h. größere Krisen unwahrscheinlich sind. Eine Fehleinschätzung, wie wir zwischenzeitlich wissen.
Er schreibt diese Fehlaussagen auch dem Zeitgeist zu, und der lange vorherrschenden Auffassung vom Siegeszug des Kapitalismus. Bereits 1978 hat China angesetzt, seine ehemaligen maoistischen Fesseln zu lockern. Ende 1989 kam dann der Niedergang des Sozialismus hinzu. Jedesmal kamen diese Änderungen dem Ansehen des Kapitalismus zu gute, dessen ideologische Vorherrschaft damit immer deutlicher wurde. Er sagt:
„Erstmals seit 1917 leben wir also in einer Welt, in der Eigentumsrechte und freie Märkte als Eckpfeiler, nicht als widerwillig akzeptierte Hilfsinstrumente auf Zeit gelten, und in der die unschönen Seiten einer Marktwirtschaft – Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Ungerechtigkeit – als schlichte Notwendigkeiten akzeptiert werden“ – Paul Krugman
Gleichzeitig, so behauptet er, sind die Erzfeinde des Kapitalismus – globale Kriege und Krisen lange in den Hintergrund geblieben. Die Industrienationen haben deshalb seit Jahrzehnten eine positive wirtschaftliche Entwicklung hinter sich, die lediglich unterbrochen war von milden Rezessionen.
Er verwendet das einfache Erklärungsmodell der Babysitter-Coop-Crisis, um zu erklären, wie Rezessionen entstehen, und wie man sie bekämpfen kann. Auf der Grundlage dieses Modells macht er deutlich, das die Notenbanken inzwischen Methoden haben, um auf Rezessionen zu reagieren, und diese auch nutzen.
Die technischen Entwicklungen, wie zum Beispiel die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie hat zu einem rasanten Wandel der Geschäftswelt geführt, und letztendlich zum positiven Image des Kapitalismus beigetragen.
„In den neunziger Jahren aber war plötzlich die Vorstellung wieder da, dass Reichtum und Tugendhaftigkeit .. durchaus miteinander verbindbar sind“ – Paul Krugman
Die Gobalisierung hat letztendlich dafür gesorgt, dass viele Entwicklungsländer Ihre Wettbewerbsnachteile abbauen konnten, und inzwischen viele Millionen armer Menschen neu am globalen Wohlstand teilhaben.
Nachdem die ehemaligen sozialistischen Staaten diese Entwicklung lange vergeblich versucht hatten, wurde der wachsende Wohlstand letztendlich wieder als ein Sieg des Kapitalismus gewertet, weil nur er es in der Realität geschafft hat, viele Länder aus der Unterentwicklung zu holen.
In weiteren Kapiteln geht er auf diverse Finanz- und Wirtschaftskrisen ein, und argumentiert prinzipiell, dass hinter den Kulissen des siegreichen Kapitalismus bereits seit längerer Zeit Warnzeichen erscheinen.
Er beginnt mit den frühen Krisen in Lateinamerika. Wenn wir uns daran erinnern, bezeichnet man die 1980iger Jahre als das verlorene Jahrzehnt für Lateinamerika, wegen der vielen Krisen. Anschliessend schienen diese Länder es gelernt zu haben, und begannen, ihre Wirtschaften zu liberalisieren.
Der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wurde ein jähes Ende gesetzt, als Mexiko durch einen relativ kleinen politischen Fehler in die Tequilla Krise gerutscht ist. Diese Krise hat in weiteren Verlauf auch das argentinische Bankensystem in schwere Bedrängnis gebracht, obwohl Argentinien an dieser Stelle eigentlich vollkommen unbeteiligt war.
Er erklärt ab Seite 62 das Entstehen einer Währungskrise. Diese beginnt (wie im Fall Argentiniens in der Tequilla-Krise) oft damit, dass einige Investoren Kreditlinien kündigen. Dies führt dazu, dass eine Kettenreaktion einsetzt, die im ungünstigen Fall ein ganze Land in Bedrängnis bringen kann.
„Die ursprüngliche Kündigung des Auslandskredites hat also innerhalb Argentiniens einen Multiplikationseffekt: Jedem verlorenen Kreditdollar aus New York stehen in Buenos Aires mehrere Pesos aus gekündigten Darlehen gegenüber. Je mehr aber das Kreditvolumen schrumpft, desto mehr beginnt die argentinische Wirtschaft zu wackeln“ – Paul Krugman
Aus diesen frühen Krisen hat die Welt nach Krugman die folgenden falschen Lektionen gelernt:
Die eigentliche Frage hat damals nur der Ökonom Guillermo Calvo gestellt, und niemand beantwortet:
„Warum eigentlich zog ein so geringfügiges Vergehen (Anm: Die kleinen politischen Fehler in Mexiko) eine derart schwere Strafe nach sich?“ – Guillermo Calvo
Im weiteren Verlauf seines Buches geht er auf die japanische Krankheit ein. Nachdem Japan jahrelang sehr rasant gewachsen war, ging es in den 1990iger Jahren überwiegend nur bergab. Lange Zeit befand sich Japan sogar in einer Depression, die erst ab 2003 dadurch verlassen werden konnte, dass der Außenhandel anzog.
Krugman sieht das Platzen einer Immobilienblase im Großraum Tokyo als Hauptauslöser für diese tiefgreifenden und langanhaltenden Probleme.
„Wie sich herausstellt, war die japanische Spekulationsblase nur einer von mehreren Ausbrüchen von Spekulationsfieber, die in den achtziger Jahren die Welt erfassten. Allen diesen Vorgängen war gemein, dass sie im Wesentlichen auf Bankdarlehen basieren – Paul Krugman
Er erkennt hinter diesen Spekulationsblasen einen systematischen Problemauslöser, der auch derzeit relevant ist. Hierbei handelt es sich um die sogenannte „Verführung zum Risiko“ (engl. moral hazard).
Nach einer Definition aus der Wikipedia gestattet es das marktwirtschaftliche System, unter bestimmten Bedingungen, ungewünschte Entwicklungen, die den Grundstein für Krisen legen können:
„Moral Hazard droht, wenn es einen Widerspruch gibt zwischen dem, was für die Allgemeinheit (für das Kollektiv) und dem, was für das Individuum vernünftig ist, wenn also ein Widerspruch zwischen Kollektivrationalität und Individualrationalität vorliegt. Daher ist der Moral Hazard eng verwandt mit der Rationalitätenfalle. Ein Moral Hazard droht, wenn eine höhere Instanz, z. B. eine Regierung, oder eine kollektive Instanz, z. B. eine Versicherung, eine Kollektivrationalität durchsetzen will, dies aber von den Individuen zugunsten ihrer eigenen Interessen ausgenutzt und damit womöglich unterlaufen wird.“ – http://de.wikipedia.org/wiki/Moral_Hazard.
Die Asienkrise hat 1997 ihren Ausgang genommen in Thailand. Ursächlich für das Entstehen einer Schockwelle, die im weiteren Verlauf Asien erfasst, und in langanhaltende wirtschaftliche Probleme gebracht hat, war die Abwertung der Landeswährung. In Tailand hat es lange Jahre einen Boom gegeben und einen Zufluss von billigem Geld. Der Boom wurde abrupt beendet durch Spekulationsattacken auf die thailändische Währung.
„Die Frage drängt sich auf: Warum griffen die Verantwortlichen nicht ein, um den Spekulationsboom zu unterbinden? Nun, sie versuchten es wohl, doch es gelang ihnen nicht“ – Paul Krugman
Später kam es dann zu einem Platzen der Spekulationsblase, und zu der eigentlichen Krise:
„Solange die Immobilienpreise und die Aktienmärkte boomten, sahen selbst zweifelhafte Anlageoptionen rosig aus. Als jedoch Luft aus der Spekulationsblase entwich, türmten sich auch die Verluste auf. Damit versiegte das Vertrauen der Märkte und damit der Zustrom frischer Kredite immer mehr“ – Paul Krugman
Er kommt hier wieder zu der Frage, wieso ein so kleiner Anlass zu einem Problem für eine ganze Region werden kann, und identifiziert folgenden Teufelskreis einer Finanzkrise:
Problematisch wird es, wenn eine Art Selbstverstärkung einsetzt, d.h. wenn die Märkte in einen Zustand der Panik geraten – wie teilweise in Thailand passiert.
Krugman geht in seiner Bewertung von finanzpolitischen Massnahmen in diesem Kapitel auf die neoklassische Synthese ein, bzw den keynesianischen Pakt ein. Vereinfacht besagt dieser Pakt, der nach der ersten Weltwirtschaftskrise geschlossen wurde, dass die Öffentlichkeit in Rezessionen erwartet, dass die Zentralbank geeignete Massnahmen ergreift, um die Wirtschaft zu beleben.
In Asien hat man damals aber falsche und gegensätzliche Maßnahmen ergriffen. Der Grund hierfür war weniger das Unvermögen der Handelnden, sondern vielmehr, dass man Angst vor Spekulationen hatte. Er zeigt mit der folgenden Argumentation, dass für Länder wie in Asien andere Regeln gelten, d.h. die derzeit propagierten Politikempfehlungen nicht angemessen sind.
Der Wirtschaftspolitiker in einer offenen Wirtschaft hat laut Krugman folgende Ziele:
In der Realität ist es jedoch so, dass ein Land niemals alle drei Ziele gleichzeitig erreichen kann. Generell hat sich die Variante mit dem schwankenden Wechselkurs durchgesetzt, da dies am wenigsten Nachteile hat, und die größten inländischen Handlungsspielräume erlaubt. Deshalb fluktuieren die Währungen der einzelnen Währungsräume gegeneinander relativ stark.
Problematisch an der Favorisierung des freien Wechselkursregimes kann der Umstand sein, dass die Kursbildung auch marktpsychologischen Gesichtspunkten unterworfen sein kann
„… gewinnt die Marktpsychologie einen zentralen Stellenwert – so zentral, dass innerhalb gewisser Grenzen die Erwartungen, ja selbst die Vorurteile der Investoren regelrecht zu wirtschaftlichen Fundamentaldaten werden…
.. Die Ansicht, freie Wechselkurse seinen die beste …. Antwort… beruht natürlich auf den Erfahrungen von Ländern wie Kanada,…. Doch in den neunziger Jahren musste eine Reihe von Ländern – Mexiko, Thailand,… feststellen, dass für sie andere Regeln gelten… Versuche eine moderate Abwertung vorzunehmen zogen einen drastischen Vertrauensschwund nach sich…“ – Paul Krugman
Wir sehen regelmäßig Wirtschaftskrisen, die ganze Länder oder Regionen in das Verderben stürzen. Einige Krisenursachen liegen im ungebremsten Siegeszug des Kapitalismus begründet, oder hängen mit den inherenten Defiziten dieser Wirtschaftsordnung zusammen.
Viele Wirtschaftskrisen entstehen aus Spekulationsblasen, teilweise gepaart mit wirtschafts- und finanzpolitischen Fehlern. Die Gründe sind oft rational nachvollziehbar, und die Entwicklung einer Krise ist teilweise unvermeidbar.
Hier geht’s zum Buch: Paul Krugman → Die neue Weltwirtschaftskrise.
Die restlichen Teile seiner Analyse befassen sich mit folgenden Themen
Diesen Themen werde ich in einem zukünftigen eigenen Beitrag behandeln, um ihnen die notwendige Breite geben zu können.
Das Original dieses Artikels ist auf →Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links: