Komplexität, Produktivität und Wachstum

Neulich habe ich in einem Artikel gelesen, daß wegen der zunehmenden Komplexität der Märkte die Produktivität der Unternehmen leidet, und damit das Wachstum der Volkswirtschaften in Mitleidenschaft gezogen wird.

Es hieß: Die Firmen sollen alle tatkräftig daran arbeiten, die Komplexität in den Griff zu bekommen. Dann würden nicht nur die Gewinne steigen, sondern auch die Wirtschaft florieren.

Diese Aussage habe ich zum Anlass genommen, um nachzuforschen, wie Komplexität und Produktivität zusammenhängen und inwieweit sie wachstumsrelevant sind.

Definition

Die beiden Begriffe „Komplexität“ und „Produktivität“ beschreiben in der Betriebswirtschaftslehre unterschiedliche Sachverhalte, die auf den ersten Blick nicht weiter zusammenhängen.

So wird die Komplexität einer Technologie oder eines Prozesses  dadurch bestimmt, wie viele unterschiedliche Elemente oder Merkmale zueinander in einem Beziehungsgeflecht stehen. Die Produktivität beschreibt, wie effizient man Produkte herstellen kann – wie die weiter unten aufgeführten Definitionen zeigen.

Produktivität

Als volkswirtschaftliche Kennzahl, welche die Leistungsfähigkeit beschreibt, beschreibt die Produktivität das Verhältnis zwischen den produzierten Gütern und den dafür benötigten Produktionsfaktoren (Wikipedia).

Komplexität

Die wesentlichsten Merkmale der Komplexität sind nach Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Komplexität, online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/5074/komplexitaet-v8.html

„Wichtigstes Merkmal komplexer Situationen ist die Intransparenz für den Entscheider: Er hat keine Möglichkeit, das Netzwerk zirkulärer Kausalität intuitiv zu erfassen, keine Möglichkeit exakter Modellierung und exakter Prognosen, er muss mit Überraschungen und Nebenwirkungen rechnen. Der Umgang mit komplexen Systemen erfordert ein hohes Maß an Wissen über die kausalen Zusammenhänge der Systemelemente (Art der Vernetzung) und die Fähigkeit, Komplexität auf wenige Merkmale und Muster zu reduzieren (Komplexitätsreduktion).“

Komplexität als Problem

Komplexität kann also erst dann zu einem Produktivitätsproblem werden, wenn die Entscheidungsträger entweder die kausalen Zusammenhänge nicht mehr überblicken, oder wenn sie nicht in der Lage sind, die Komplexität (gedanklich) zu reduzieren, und dann mehr Produktionsfaktoren einsetzen, als nötig.

Man kann also schlussfolgern, daß die Komplexität nur dann im Sinne der Leistungserbringung wirklich relevant wird, wenn sie überhand nimmt, bzw bis zu einem bestimmten Niveau ist die Komplexität kein Leistungsminderer.

Kostet Komplexität Wachstum?

Wenn die Komplexität unter bestimmten Bedingungen ein Produktivitätshemmnis werden kann, dann fragt sich, ob sich eine zu hohe Komplexität in den Prozessen in den Firmen nachteilig auf das Wachstum der Wirtschaft auswirkt.

Die Produktivität der Firmen schlägt sich sicher in der Produktivität der gesamten Volkswirtschaft nieder. Jedoch hängt auf dieser Ebene von weitaus mehr Faktoren ab. So definiert zum Beispiel die Wirtschaftsstruktur die volkswirtschaftliche Produktivität genau so mit, wie z.B. es die Qualität des Ausbildungswesens tut, um nur zwei Faktoren zu erwähnen.

Dies bedeutet, daß man vermutlich über die Komplexitätsreduktion in den Firmen alleine keine volkswirtschaftliche Änderung hervorrufen kann, die man nicht auf anderen Wegen ggf viel besser hin bekommt. Oder anders argumentiert: ohne die anderen Determinanten zu betrachten, ist es nicht sinnvoll, dem Heilsbringer „Komplexitätsreduktion“ magische Kräfte zu zusprechen.

Ein zweites Argument, gegen die volkswirtschaftliche Relevanz der Aussage „Wenn die Komplexität in den Firmen abgebaut wird geht es uns allen besser“ liefert ein mathematisches Modell, das in dem Artikel: „Mathematisches Modell: Komplexität erzeugt Wirtschaftswachstum“ (siehe Referenzen weiter unten) behandelt wird.

Dieses Modell kommt zu dem gegenteiligen Schluss, daß die Komplexität, sofern man sie beherrscht, auf volkswirtschaftlicher Ebene sogar gut und wachstumsfördernd ist:

„Komplexitätsforscher aus Wien und den USA konnten nun mit einem neuen mathematischen Modell zeigen, dass ein kritisches Niveau an Komplexität die Entwicklung noch komplexerer, am Markt erfolgreicher Produkte und so die gesamtwirtschaftliche Entwicklung fördert. „

Komplexitätsökonomik

Bisher ist klar geworden, daß das betriebswirtschaftliche Verständnis über den Begriff der Komplexität nicht ausreicht, um zu verstehen, inwieweit die Komplexität in den einzelnen Firmen eine gesamtwirtschaftliche Relevanz besitzt.

Vielmehr bedarf es einer umfassenderen Definition.

Komplexitätsökonomisches Denken

Der Artikel „Komplexitätsökonomisches Denken“ behandelt eine ähnliche Fragestellung wie ich es tue, und führt dort das Fachgebiet der Komplexitätsökoomik wie folgt ein:

„Auch wenn man in der Management-Presse und der Werbung für Coaching-Seminare viel Geschwafel findet, sind die dahinterstehenden Einsichten nicht falsch. Es gibt auch in der volkswirtschaftlichen Forschung zunehmend mehr Wissenschaftler, die sich intensiv mit Komplexität beschäftigen und das Zeitalter der Komplexitätsökonomik heraufziehen sehen.“

In dem Artikel selbst werden einige Prämissen genannt, die aus der Sicht des Autors zentral sind für das Verständnis des komplexitätsökonomischen Denkens (siehe dort bei Interesse).

Eric Beinhocker

In „Darwin für die Wirtschaft“ wird die Arbeit von Eric Beinhocker behandelt auf den dieses neue Denken im Sinne einer Komplexitätsökonomik zurückgeht. Der geht davon aus, daß die gesamte ökonomische Wissenschaft auf einem falschen Denkansatz beruht.

Daher muss seiner Meinung nach die ökonomische Wissenschaft einen Perspektivenwechsel vollführen, der bereits Anfang des 19ten Jahrhunderts schon einmal relevant war

„Die Ökonomie müsse vom missratenen Vorbild der Physik zur Biologie wechseln, genauer, zur Evolution. …..

Auf ihre jeweils eigene Art beschrieben die großen österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter und Friedrich von Hayek später, wie sich die Wirtschaft aus sich selbst heraus entwickelt. Wie also Wohlstand entsteht und vergeht. Schumpeters Augenmerk galt unter anderem dem »dynamischen Unternehmer«, der durch sein aggressives Handeln alte Technologien (und Firmen) vom Markt vertreibt und an ihrer Stelle eine Innovation verbreitet. Hayek ging es vor allem um die gesellschaftliche Dynamik, die ihn schließlich zu einem Feind des umfassenden Staates und einem Freund der Freiheit des Einzelnen werden ließ.“

Lehrstuhl

Professor Elsner lehrt an der Uni Bremen, und arbeitet an dem Thema der „Komplexitätsökonomik„. In seiner langen Veröffentlichungsliste findet man einige sehr gute Hinweise und wissenschaftliche Studien, welche die Relevanz der Komplexitätsökonomik zeigen.

Einer dieser Artikel liegt weiter unten bei (siehe „Real-World Economics Today: The New Complexity, Coordination, and Policy Wolfram Elsner„).

Schlussfolgerung

Die Aussage „vermindert die Komplexität in den Firmen, und dann wächst die Wirtschaft“, ist vermutlich wesentlich zu verkürzt gedacht. Die Komplexität in den Firmen alleine ändert wenig am makroökonomischen Level, bzw beherrschbare Komplexität hat auf volkswirtschaftlicher Ebene sogar sehr viele Vorteile.

Die Aussage „die Wirtschaft ist kein konstantes System, sondern unterliegt den gleichen Gesetzen wie die Evolutionstheorie. Daher sollte man versuchen die ökonomische Rolle der Komplexität mitzubedenken, wenn man erklären will, warum Ökonomien wachsen“, scheint richtiger zu sein.

Weiterführende Informationen

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph).

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