Geht die vierte industrielle Revolution an uns vorbei?

Der Begriff der „Industrie 4.0“ ist vor vier Jahren auf der CEBIT erfunden worden. Wenn man neueren Studien glaubt, machen sich derzeit andere Länder auf, der deutschen Industrie den Rang abzulaufen.

Die mangelnde Digitalisierung wird selbst von der Bundesregierung als Problem erkannt – und es hat bereits erste Aufrufe an die Industriebetriebe gegeben, doch bitte aufzuwachen.

Verschlafene Vorteile?

Am Ende des Artikels finden Sie mehrere Berichte aus dem Manager Magazin, die die verschiedenen Aspekte beleuchten. Aus „Digitale Revolution: Industrie 4.0 überfordert deutschen Mittelstand“ könnte man seitenweise zitieren, weil dieser Artikel das Problem umfassend ausleuchtet.

Zu zaghaft

Für mich sind die Aussagen in dem Artikel von zentraler Bedeutung, die davon sprechen, daß deutsche Industriefirmen offenbar dabei sind, ihren Vorteil zu verspielen. Und ich finde die Gründe interessant, die hierfür angeführt werden.

In dem Artikel steht zu lesen:

„Deutschland, und das treibt Ten Hompel tagtäglich an und um, droht die industrielle Revolution 4.0 zu verschlafen. Die Zukunftsfähigkeit des Landes steht auf dem Spiel, falls aus dem „digitalen Wirtschaftswunder“ (Alexander Dobrindt) nichts wird…..

… In einer Umfrage der DZ Bank zur Bedeutung der Digitalisierung für den Mittelstand gab ein gutes Drittel an, das Thema sei für sie zurzeit „überhaupt nicht relevant“, bei kleinen und mittleren Unternehmen waren es sogar 70 Prozent.“

Rolle der Software

Die folgenden Zitate aus dem erwähnten Artikel zeigen, daß dieser fehlende Fokus gefährlich ist, weil man davon ausgehen kann, daß die Software verstärkt klassische Fertigungsprozesse verändern wird. Damit wird aber letztendlich auch der Verkaufsprozess gravierende Veränderungen erfahren.

Anders ausgedrückt: Im Endeffekt ändern sich also gerade unter dem Oberbegriff der „Losgröße 1“ die Determinanten des Wettbewerbs.

Die produzierenden Unternehmen sollten aufpassen, daß sie von diesen Änderungen nicht auf dem falschen Fuß überrascht werden:

„Echte Produktionszyklen gibt es nicht mehr, wenn Prototypen oder Ersatzteile dreidimensional ausgedruckt werden können – oder der Kunde sein Auto per Software-Update und Internetverbindung auf den neuesten technologischen Stand synchronisiert, ganz so, wie er es heute schon mit seinem Smartphone tut. …

…Die Software wird fortan einen immer größeren Teil der Wertschöpfung vereinnahmen und Kundengelder abgreifen – auf diesem Terrain haben hiesige Maschinenverehrer bislang wenig vorzuweisen.“

Ursachen

Einer der Hauptursachen (im Artikel werden weitere Ursachen genannt) ist das Silodenken der deutschen Firmen, und die geringe Bereitschaft und die mangelnde Erfahrung auch einmal mit Wettbewerbern zu kooperieren:

„Echte Plattformstrategien drohen allerdings am deutschen Silodenken zu scheitern. …

…. Gerade im Mittelstand dringt die Einsicht kaum durch, dass in einer vernetzten Welt notgedrungen Rivalen auch mal zum Partner geadelt werden müssen. Auf diese Weise sind Konzerne wie Microsoft, Oracle und IBM von den USA aus zu wirkmächtigen Kräften aufgestiegen. Die IT-Firmen haben die Kunst der „Coopetition“, also die Mixtur aus Wettbewerb und Zusammenarbeit, über Jahrzehnte perfektioniert.“

Normung

Bei einem Thema wie der Industrie 4.0 spielt die Frage des Kommunikationsprotokolls eine entscheidende Rolle. Die Firmen, die sich auf einen Standard einigen können, über den die Geräte kommunizieren, werden ganz sicher die Nase vorne haben.

Leider enteilen die amerikanischen Firmen uns Europäern wohl gerade in großen Schritten (siehe hierzu auch den Bericht „In Bund trommelt für deutsche Industrie 4.0„):

„Die Amerikaner sind enteilt. Der Siemens-Rivale General Electric hat gemeinsam mit Telekomkonzern AT&T, Netzwerkausrüster Cisco, IBM und dem Chiphersteller Intel längst das sogenannte „Industrial Internet Consortium“ geformt. Inzwischen haben sich der Gruppe zig weitere Mitglieder angeschlossen, auch Bosch und der koreanische Elektronikmulti Samsung Chart zeigen.

Ihr Ziel: globale Standards für die an das Internet angeschlossenen Industriesysteme.“

Für mich ist die Frage, ob es konkrete Beispiele gibt, die erläutern, welche Änderungen mit der Industrie 4.0 einhergehen, und warum es gefährlich ist, die Änderungen in der Wettbewerbslandschaft zu ignorieren.

Beispielszenarien

Innerhalb der Artikelserie im Manager Magazin findet man weiter unten ein sehr gutes Beispiel der Modefirma „Tommy Hilfiger“ („Tommy Hilfiger’s Digitaler Showroom – Schön blöd, wer da nicht mitmacht„), im dem auch ein paar Zahlen genannt werden.

Demnach betreibt Hilfinger einen sehr großen Aufwand bei den Musterkollektionen – ein Grund hierfür ist die große Variantenvielfalt, die in der Bekleidungsindustrie üblich ist:

„mm: Die Anzahl der Teile für die Musterkollektionen beträgt bei Tommy Hilfiger circa eine Million pro Jahr. Vier Kollektionen pro Jahr, jeweils Prä-, und Hauptkollektionen in 40 Showrooms. Welch ein logistischer und finanzieller Aufwand….“

Um den Kunden ein besseres Einkaufserlebnis zu bieten (und auch, um die Kosten zu senken), hat man einen virtuellen Showroom entwickelt, der die Onlinepräsentation unterstützt.

Zwar handelt es sich bei diesem Showroom nicht um ein typisches Szenario der Industrie 4.0, da die Fertigungskomponente fehlt. Trotzdem verdeutlicht das Szenario, wie man Software einsetzen kann, um das Einkaufserlebnis zu ändern, während man gleichzeitig Kosten sparen kann:

„Der Orderablauf ist im Prinzip der gleiche. Man erzählt dem Kunden zuerst im Prinzip Neuigkeiten über die Marke und Highlights der Saison sowie über Keylooks und Klassiker, dann geht man in die Produktpalette; alles per großen, einfach zu bedienendem Touchscreen. Das ist nichts anderes, als das, was im Showroom leibhaftig passiert, nur auf digitaler Basis. Wer das einmal erlebt hat, sagt sich: Das will ich auch nicht mehr machen, den Showroom mühsam stundenlang zu durchstöbern. Am Bildschirm kostet das den Kunden eine Stunde, im realen Showroom vier bis fünf.“

Dieses Beispiel zeigt mir sehr gut, welchen Beitrag die Digitalisierung leisten kann. Und man weiß ja nie, vielleicht schliesst Hilfinger eine Fertigung an diesen Onlineshowroom an, und verletzt sich so in die Lage, Muster auf Kundenzuruf zu entwickeln – das wäre dann Industrie 4.0.

Weiterführende Informationen

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Folgeartikel zum Thema gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen.

In der Online Version des Artikels finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

Comments are closed.