Ersetzt die Lean-Start-up-Methode den Businessplan?

In seinen Artikel „Organisation – Schneller gründen“ (siehe die Links am Artikelende) schreibt Steve Blank über moderne Unternehmer, die immer häufiger auf einen Businessplan verzichten, und stattdessen direkt mit ihren potenziellen Kunden in Kontakt treten, um mit ihnen gemeinsam und schrittweise ein marktfähiges Endprodukt zu entwickeln.

Er behauptet, daß diese Lean-Start-up-Methode sich auch in Konzernen sinnvoll einsetzen läßt, und dort auch mehr und mehr durchsetzen wird.

Die Frage, die mich heute beschäftigt lautet: „Hat er Recht, und wir benötigen keine Businesspläne mehr?“

Lean-Start-up-Methode

Neben den weiter oben wiedergegebenen Gedanken werfen die folgenden zentralen Aussagen des Artikels ein negatives Licht auf den Nutzen der Businesspläne:

  1. Businesspläne überleben selten den ersten Kontakt mit Kunden. Wie der Boxer Mike Tyson einst über die Strategien seiner Gegner vor dem Kampf sagte: „Jeder hat einen Plan, bis er eins aufs Maul bekommt.“
  2. Niemand außer Wagniskapitalgebern und der einstigen Sowjetunion verlangt Fünfjahrespläne mit Prognosen über komplett Unbekanntes. Solche Pläne sind meist reine Fiktion, und sie zusammenzuträumen ist fast immer bloße Zeitverschwendung.
  3. Start-ups sind keine Miniaturausgaben großer Unternehmen. Sie entwickeln sich nicht gemäß einem Masterplan. Diejenigen, die letztlich Erfolg haben, bewegen sich schnell von Misserfolg zu Misserfolg und passen dabei ständig ihre ursprünglichen Ideen an, bauen darauf auf und verbessern sie, während sie kontinuierlich von ihren Kunden lernen.

Er postuliert, daß heutzutage junge Unternehmer stattdessen den „Business Model Canvas“ verwenden, und bei den agilen Methoden der Softwareentwicklung Anleihen machen, wie das folgende Zitat zeigt:

Drittens nutzen schlanke Start-ups eine Praxis aus der Softwarebranche, die als agile Entwicklung bezeichnet wird. Agile Entwicklung geht Hand in Hand mit der Entwicklung durch Kunden. Anders als bei typischen jahrelangen Entwicklungszyklen unter der Annahme, die Probleme und Produktwünsche der Kunden zu kennen, wird bei agiler Entwicklung Zeit- und Ressourcenverschwendung dadurch vermieden, dass das Produkt iterativ und inkrementell entwickelt wird. Auf diese Weise schaffen Start-ups zu Testzwecken zunächst minimal funktionsfähige Produkte.

Erster Widerspruch

In den Kommentaren antwortet ein Leser, der Existenzgründer berät, und, der denkt, daß der Artikel Gründer aus folgendem Grund in die Irre führen könnte:

Deren Unkenntnis über Zielmärkte, Erfolgsfaktoren und Geschäftsgepflogenheiten ist in der Gründungsphase bei unerfahrenen Neuunternehmern immens – wirtschaftlich meist tödlich. Selbstverständlich, wenn man Absatz, Umsatz und Wirtschaftlichkeit gesichert hat, dann klappt’s mit dem Vorgehen des Lean Start-Up’s.

Wieviel Businessplan brauchen wir nun wirklich?

In einem früheren Artikel habe ich mich bereits mit dem Business-Model-Canvas beschäftigt, und kenne mich auch in der agilen Softwareentwicklung aus (siehe weiterführende Informationen).

Der Canvas

Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, daß sich der Artikel phasenweise widerspricht, und in der reinen Form so nicht angewandt werden sollte – klar benötigen Gründer nach wie vor Business-Pläne.

Auf der einen Seite sagt der Autor, daß man auf Businesspläne verzichtet/ verzichten kann. Auf der anderen Seite nimmt er selbst Referenz auf eine Methode, bei der ein Businessplan im Zentrum der Überlegungen steht.

Zwar unterscheidet sich der Business-Model-Canvas von einem althergebrachten Geschäftsplan dadurch, daß er kürzer ist. Er hat aber ansonsten ähnliche Inhalte, die er in einer in sich konsistenten Darstellungsform zusammenfasst.

Agile Methoden

Als Methode dient die agile Softwareentwicklung zwar dazu, Produkte iterativ zu entwickeln. Sie ist allerdings kein Ersatz für eine geplante Vorgehensweise. Vielmehr setzen auch die agilen Methoden voraus, daß das Entwicklungsteam und der Produktowner wissen, wohin das Produkt sich entwickeln soll.

Man unterteilt mit dieser Methode einen großen Schritt jedoch in viele kleine Schritte, die man iterativ immer weiter verfeinern kann, je näher die Einplanung eines Arbeitspakets rückt. Und man nimmt mit fortschreitender Feinplanung Feedback hinzu, das man auf dem Weg erhält.

Insofern ist auch die agile Softwareentwicklung eher eine Methode, die wie ein großer Geschäftsplan aufgebaut ist. Der Unterschied zum erwähnten 5 Jahresplan ist eher, daß man den Plan iterativ verfeinert, und nicht wie bei einem 5 Jahresplan auf das große Erwachen am Ende wartet.

Gewinner haben einen Plan

Das geistige Vorwegnehmen der Zukunft zu dem einen das Erstellen des Geschäftsplans zwingt, ist nicht zwangsläufig schlecht, auch wenn bereits jedem Praktiker bereits am Anfang klar ist, daß die Pläne am Ende nicht so eintreten, wie man denkt.

Die Planung, die in einem Geschäftsplan steckt, zeichnet nämlich ein klareres Bild der Zukunft, als es das einfache Loslaufen könnte, und sie hilft dabei zu verstehen, wie das Gesamtsystem aufgebaut ist (bestehend aus Markt, Kunden, Produkten, Wettbewerbern). Diese Methode hat demnach einen mehr Nutzen, als ihn ein Ansatz bieten kann, der sich nur auf  Feedback verläßt.

Kundenfeedback

Nur mit einer Idee bewaffnet zu Kunden zu gehen, wie im Artikel postuliert, ist oft töricht, und es kann auch belastend sein.

Ohne den Schutz seiner Idee zu gewährleisten, sollte man generell sparsam  mit externer Kommunikation sein. Dies bedeutet letztendlich aber, daß man sich bereits einen ersten Geschäftsplan überlegen sollte, der ganz ohne Feedback auskommt, bevor man mit Kunden redet.

Ein zu frühes Öffnen könnte den Markt  auf falsche Gedanken bringen, und man könnte seinen Startvorteil gefährden. Ein zweiter Aspekt ist: Feedback geben kostet Kunden Geld und Zeit. Wenn man mit zu ungegorenen Ideen auf Kunden zugehen sollte, um diese nach Feedback zu befragen könnte man gegebenenfalls den notwendigen Goodwill verspielen – was ebenfalls für eine mehr oder wenig ausgedehnte Vorbereitungsphase in Form eines Geschäftsplans spricht.

Fazit

Meiner Meinung nach kann man nicht auf einen Business Plan verzichten weder in einem Start-Up, noch in einem großen Unternehmen. Man sollte jedoch aufpassen (und da haben Artikel und Verfechter der Lean-Start-Up Methode recht), daß der Plan nicht ausufert.

Auch ist es nicht sinnvoll, zu lange auf das Einholen von Kundenfeedback zu verzichten. Klar hat das iterative Vorgehen zusammen mit Kundenfeedback große Vorteile, allerdings sollte man Feedback eher als Ergänzung verstehen, denn als den Ersatz eigener Arbeit. Auch sollte man Wert darauf legen, den Business Plan nicht in einem „Elfenbeinturn“ zu schreiben, sondern man sollte Kontakt zur Welt halten.

Insgesamt vielversprechender , als ein vollständiger Verzicht ist für mich eher ein Ansatz, der darauf abzielt, die Arbeit am Business Plan nicht ausufern zu lassen, während man sich der Elemente aus dem Umfeld der agilen Softwareentwicklung bedient, um diesen Plan iterativ weiterzuentwickeln.

Weiterführende Informationen

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

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