Ist Retrodesign innovativ?

Neulich habe ich mich interessehalber mal wieder nach neuen Fotoapparaten umgesehen. Dabei bin ich auf einige sehr interessante Kameras gestoßen, die auch sonst einen interessanten Innovationsansatz verkörpern.

Heute geht es mir daher um Produkte, die alte Technik mit neuen Möglichkeiten anreichern, und die dabei einen Hochqualitätsansatz verfolgen.

Die Retrowelle – Zwei Beispiele

Leica

Ich bin bereits in einem früheren Artikel auf die Firma Leica eingegangen, die lange Zeit kurz vor der Insolvenz gestanden ist (siehe Weiterführende Informationen). Wenn man neueren Artikeln trauen kann, hat Leica den Turnaround geschafft. Laut einem Artikel in der Zeitung Die Zeit (→ Manche schwören drauf) hat es die Firma über eine bemerkenswerte Innovationsanstrengung geschafft, wieder im Markt Fuß zu fassen:

„…das Unternehmen stand kurz vor der Insolvenz. Bis zu jenem 9. September 2009, … , als Leica in New York gleich drei Neuentwicklungen vorstellte. Die voll digitalisierte Messsucherkamera M9, die Spiegelreflex-Mittelformatkamera S2 und das technisch aufgerüstete Retromodell X1, das an die legendäre Ur-Leica von 1914 erinnern soll. Offenbar hatten die darbenden Leica-Fans nur auf diesen Moment gewartet. Fast unmittelbar nach der Präsentation zogen die Umsätze stark an. „

Das Model X1 ist hierbei für mich von besonderem Interesse, da es einen neuen technischen Trend gesetzt hat. Um den zu verstehen, muß ich etwas weiter ausholen. Vor der Entwicklung der X1 mußte der Profifotograf eine Wahl treffen:

  • Möchte ich auf meiner Städtetour gut fotografieren? Dann muss ich eine Spiegelreflexkamera mitnehmen! Diese ist aber schwer, und damit überlegt man es sich zwei mal, ob man unter den Bedingungen auf einer Städtetour überhaupt fotografieren will.
  • Möchte ich wenig tragen? Dann muss ich eine Kompaktkamera mitnehmen, die zwar leichter ist, dafür aber längst nicht die Bildqualität abliefert.

Leica hat nun wichtige zentrale Elemente der Spiegelreflexkamera (z.B. den großen Chip) in ein kleines Gehäuse verbaut, und dazu eine exzellente Optik vorgesehen. Die ganze Kamera ist sehr wertig aufgebaut, und aus dem vollen Material gefertigt.

Aufgrund der wertigen Ausführung ist die Kamera nicht billig, dafür aber aufgrund der modernen Technik eine gute Alternative für Profis, um dem Dilemma „schwer, aber gute Bilder – leicht, aber schlechte Bilder“ zu entrinnen. Man kann mit dieser Kamera (technisch) Bilder erstellen, die sonst nur mit hochwertigeren Kameras (z.B. Spiegelreflex) möglich waren. Damit eignet sich die Kamera auch für hohe Ansprüche.

Fuji

Fuji hat auf der letzten Photokina eine hochwertige, jedoch kleine Kamera angekündigt, und beginnt ab April mit der Auslieferung. Diese Kamera mit dem Namen X100, nutzt ebenfalls einen relativ großen Chip, und besitzt ein sehr hochwertiges Festbrennbreitenobjektiv. Wie bei der Leica X1, orientiert sich die Gehäuseform stark an ursprünglichen Kameraentwürfen, z.B der Firmen Nikon, oder auch Leica. Die Kamera verfolgt demnach unverkennbar eine Retrodesignkonzeption, und weist konzeptionell Ähnlichkeiten mit der Leica auf (sie ist allerdings sehr viel preiswerter).

Fuji’s Produktwebsiteunter http://www.finepix-x100.com/ spiegelt das Retroprinzip wider, wie Sie unschwer an der Farbgebung und der Schriftart erkennen. Zudem erkennt man auf der Homepage unschwer die Positionierung der Kamera im Profisegment, bei dem es auf optische Güte der Objektive, und die handwerkliche Qualität der Kameras ankommt.

Die technische Ausstattung ist ebenfalls erstklassig, d.h., daß die Kamera alte Werte (Erscheinung) mit moderner Technik (Innenleben) kombiniert.

Hochqualität und Retrostrategie

Was beide Kameras eint, ist der Ansatz, eine qualitativ hochwertige Lösung, mit sehr guten Leistungsmerkmalen in einem Retrodesign anzubieten.

Wann lohnt der Ansatz?

Ein solcher Ansatz funktioniert in folgenden Bereichen  gut:

  • Wenn sie in Ihrem Segment Produkte anbieten, bei denen Ihre Kunden herausragende Produktmerkmale würdigen, wie zum Beispiel im Bereich der Fototechnik, oder auch im Bereich der Akustik (dort führt technischer Aufwand oft zu wahrnehmbaren Qualitätsverbesserungen in den Ergebnissen).
  • Wenn es Ihren Kunden auf althergebrachte Werte ankommt, oder Sie an Ihre früheren Firmenerfolge anknüpfen wollen (oft zu finden in Industrien, die eine lange Entwicklungsgeschichte aufweisen).
  • Wenn die hochwertige Ausstattung und Qualität zu besonderen Produkteigenschaften führt (z.B. im Bereich Fotografie führt die Investition in gute Objektive zu technisch schönen Fotos, die mit einfacherer Technik nicht zu erstellen sind).

Segment finden

Um ein passendes Segment zu finden, sollten Sie ganz besonders auf die Anforderung Ihrer Lead-User achten, d.h. die Bedürfnisse der besonders anspruchsvollen Kunden. Im Bereich Fotografie bilden die Profis, bzw die ambitionierten Amateure die Gruppe der Lead-User, da diese beiden Nutzergruppen auf der einen besonders hohe Ansprüche an die verbaute Technik stellen. Auf der anderen Seite legen diese Nutzergruppen besonderen Wert auf die Qualität der Ergebnisse, die sich mit der Kameratechnik erzielen lassen.

Beobachten Sie, wie Ihre Lead-User die Produkte verwenden, bzw, was diese Nutzer stört (Im Falle der Fotografie z.B. das hohe Kameragewicht), um Hinweise auf Optimierungspotential zu erhalten. Wenn Sie beide Elemente verknüpfen (Anforderungen, und Defizite) sind Sie schon recht nah an dem gesuchten Produktkonzept.

Die Entscheidung, ein Retrodesign vorzusehen, wird aus einer anderen Richtung befeuert. Soweit ich neuere Entwicklungen in vielen Märkten verstehe, kommt es immer mehr Kunden auf die folgenden Faktoren an:

  • Viele Leute suchen Produkte jenseits des klassischen Ex-und-Hopp Gedankens, da sie gelernt haben, das die Resourcen der Erde begrenzt sind.
  • Viele Leute suchen einen Gegenpol zu der schnellebigen, globalen Welt, und glauben diesen in der Rückbesinnung auf alte Produktwerte zu finden.

Verlangt Ihr Markt Qualität, Leistungsfähigkeit, und Wertigkeit, dann fehlt nur noch die Umsetzung in das passende Produktkonzept.

Weiterführende Informationen

… auf www.Produkt-Manager.net

In meinen älteren Artikeln finden Sie weiterführende Informationen zum heutigen Thema:

Kontakt

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

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