Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den kleinen Product-Launch-Krimi mitbekommen haben, der sich neulich um ein neues Apple Produkt herum abgespielt hat. Da der Krimi einige lehrreiche Facetten enthält, will ich heute darauf eingehen.
Konkret hat Apple die alte Videoschnitt-Software Final Cut ersetzt durch eine runderneuerte Version. Diese ist so zwiespältig im Markt aufgenommen worden, daß einige kreative Reaktionen notwendig waren. Insgesamt scheint das Produkt durchgefallen zu sein. Nun ist guter Rat teuer, und man kann viel lernen.
Der Sachverhalt ist, kurzgefasst, ein eskallierter Product Launch.
Apple hat vor einiger Zeit die neue Software zur Filmproduktion (Final Cut Pro X) angekündigt mit dem Slogan →Final Cut Pro X – Das verändert alles in der Post. Final Cut Pro X ersetzt die Vorgängerversion vollständig, und wurde von Grund auf neu geschrieben. Die zentrale Aussage lautet, daß man die wichtigsten Features der Vorgängersoftware übernommen hat:
„Final Cut Pro X enthält die wichtigsten Funktionen für Audiobearbeitung und Farbkorrektur aus Final Cut Studio – so lässt sich jetzt die gesamte Postproduktion mit einem einzigen Programm erledigen. Und mit Motion und Compressor – ebenfalls im Mac App Store erhältlich – ist sogar noch mehr möglich.“
Wie MacNotes.de schreibt, ist die Software nicht von allen Käufern gut aufgenommen worden. Aufgrund der großen negativen Resonanz war kurzzeitig sogar die Kommentarfunktion im App-Store deaktiviert worden (siehe →Final Cut Pro X: Bewertungen im Mac App Store waren vorübergehend deaktiviert, Updates bereits verfügbar), oder war es ein Bug? Apple hat nach einer kurzen Gedenkpause allerdings schon damit begonnen fehlende Funktionen nachzuliefern.
„Vorgestern erst kam Final Cut Pro X in denMac App Store und hat bereits große Wellen geschlagen. Die Bewertungen waren jedoch eher mäßig: Zum Zeitpunkt des Beitrags vergeben 682 Bewertungen insgesamt 2,5 von 5 Sternen. Apple hatte daraufhin die Kommentarfunktion vorübergehend gesperrt. Außerdem sind bereits die ersten Updates verfügbar.
Final Cut Pro X ist als Anwendung für den professionellen Einsatz ausgelegt, scheint dafür aber nicht wirklich zu taugen. Viele Anwender beklagen sich, nicht nur im Mac App Store, über fehlende Features, die gerade für eine Pro-Anwendung wichtig wären. Apple hatte daraufhin heute Morgen die Kommentare deaktiviert, einzig sichtbar blieben nur die Bewertungen. Inzwischen sind die geschriebenen Bewertungen aber wieder freigeschaltet
Nach einigem Hin- und Her, begann das Problem sichtlich hochzukochen. Wie die MacNews melden (siehe →Final Cut Pro X: Apple-Produktmanager nehmen Stellung), hat sich im weiteren Verlauf das verantwortliche Produktmanagement mit einer Stellungnahme beteiligt. Interessanterweise hat Apple hierzu einen Mediator hinzugezogen, der vermittelnd tätig wurde.
David Pogue, dieser Mediator, schreibt bei der New York Times über Tech Themen, und ist so vielen Leuten bekannt:. Hier zunächst das Statement der MacNews:
„Die Vorstellung des komplett überarbeiteten Final Cut Pro X Anfang der Woche ging, aus Apples Perspektive betrachtet, ganz schön in die Hose. Nachdem Fachpresse und Anwender in ihren diversen Foren Stimmung machten, stellten sich jetzt Apples Produktmanager selbst den diversen Problemen und Kritikpunkten. Als Mediator suchte sich Cupertino den bekannten Apple-Blogger David Pogue von der New York Times, der in Frage und Antwort zusammenfasste….
Mit einer durchschnittlichen Benutzerwertung von nur 2,5 Sternen im MacApp Store steht Final Cut Pro einsam unter den schlechtesten und zugleich teuersten Programmen der Software-Sammlung. Vor allem Profi-Anwender, die mit dem Programm einst ihr Geld verdienten, sehen sich von Apple im Stich gelassen, mit dem Verbraucher betrogen und verraten. Pogue sammelte die Kritikpunkte und ließ Produktmanager Stellung nehmen. Die Antworten sorgen zumindest teilweise für Aufatmen. Immerhin lassen sich die Probleme nun aufteilen in solche, die bleiben, solche die sich über Umwege lösen lassen und solche, die Apple selbst noch beheben wird.“
Pogue selbst veröffentlicht weitere Hintergrundinformationen unter dem Titel →Apple’s Final Cut Is Dead. Long Live Final Cut. Er behauptet, daß Apple hier einen typischen Schachzug unternimmt, nämlich, eine populäre Software auf dessen Höhepunkt zu ersetzen, und dabei so vorzugehen, daß die neue Version inkompatibel zur Vorgängerversion ist:
On Tuesday, Apple pulled a typical Apple move: it killed off the two-year-old Final Cut 7 at the peak of its popularity. In its place, Apple now offers something called Final Cut Pro X (pronounced “10”). But don’t be misled by the name. It’s a new program, written from scratch. Apple says a fresh start was required to accommodate huge changes in the technological landscape.
…Some professional editors are already insisting that Apple has made exactly the same mistake with Final Cut X; they pointed out various flaws with the program after an earlier version of this column was posted online on Wednesday.
Apple admits that version X is a “foundational piece.” It says that it will restore some of these features over time, and that other companies are rapidly filling in the other holes.
Er kommt in seinem Beitrag zum Schluss, daß die neue Software preiswerter ist, und leichter zu bedienen. Dafür fehlen der ersten Version noch wichtige Features, die allerdings teilweise nachgeliefert werden – langfristig wird sich die neue Software daher wohl durchsetzen:
The bottom line: The rewritten Final Cut is much, much easier to use than the old one, and its immediacy keeps your creative flow going.
But not everyone will fall in love. Switching to the new Final Cut from the old one is like coming home from college to discover that your parents remodeled your bedroom. Longtime Final Cut jockeys, in particular, may grind their teeth for a few days — and not just because they have to pay $300 for the “upgrade,” same as newcomers.
In dem Artikel →Final Cut Pro X Info Update des SlashCam-Blogs hat daraufhin eine umfassende Zusammenfassung des gegenwärtigen Stands der Dinge zur Verfügung gestellt. dabei liegt der Fokus auf den Profis, an die sich der Blog hauptsächlich wendet.
Demnach scheint es so zu sein, daß die Software bei den Profis durchgefallen ist, und sich gerade im Netz eine Stelle herausbildet, wo man sich ganz einfach einen Überblick über die fehlenden Features machen kann. Diese werden nämlich von enttäuschten Kunden dort zusammengesammelt. Die Kunden haben sich dort ad-Hoc gefunden, und organisieren sich selbst:
Der in den Dialog mit dem NYT-Autoren David Pogue und dessen Apple-FAQ getretene Cutter Richard Harrington wertet Pogues abschließenden Artikel als Sieg: dort erklärt er die vielen Kommentare professioneller Cutter hätten ihn dazu bewogen einzusehen, dass Apple Mist gebaut hätte und FCPX nicht reif für den Profimarkt sei. Harringtons Version von Pogues FCPX FAQs selbst wird immer facettenreicher durch weitere Erkenntnisse, welche Funktionen doch gehen´oder wirklich fehlen und dürfte dadurch (u.a. für verzweifelte Broadcast-Editoren) eine immer interessantere Übersicht über den neuesten Stand der (fehlenden) Features werden.
Ich war nicht dabei. Daher kann ich nur mutmaßen. Wenn ich mir allerdings die Information ansehe, erkenne ich dort einige typische Fallen, in die Apple (wissentlich oder unwissentlich) gelaufen ist.
Angefangen hat das Problem damit, daß man offensichtlich nicht für jeden Use Case verstanden hatte, welche Produktmerkmale welchen Kunden besonders wichtig sind. Wäre es anders gewesen, hätte Apple sicher den Rollout anders akzentuiert, oder gleich das gesamte Entwicklungsprojekt. Man hätte dann sicher nicht erst gewartet, daß die Profis unter den Kunden den Aufstand proben, sondern hätte von Beginn an, das Produkt so positioniert, daß klar geworden wäre, daß funktionale Lücken bestehen, diese aber schnell geschlossen werden.
Fazit: Gerade, wenn man ein erfolgreiches Produkt redesigned, kann es vorkommen, daß Features wegfallen, die den Bestandskunden besonders wichtig sind. Auch sind fehlende Migrationspfade wahrscheinlich.
Hier ist es besonders wichtig, vorab mit Powerusern zu klären, welche Features wie wichtig für deren Arbeit sind. Bei einem Produkt, das man weiterentwickelt, sind die Features ja enthalten. Bei wegfallenden Features kommt man aber nicht umhin die fehlenden Informationen zu erforschen. Nur so kann ein angemessener Releaseplan aus Nutzersicht entstehen.
Apple hat das Produkt offenbar sofort einem breiten Publikum zur Verfügung gestellt, und hat es zudem in einen AppStore eingestellt, in dem sich jedermann ohne große Probleme einen Überblick über den Kundenfeedback verschaffen kann. Diese Strategie spielt auf volles Risiko. Eine Alternative wäre, wenn man die neue Software schrittweise in den Markt gibt, wie zum Beispiel, indem man ein Beta-Programm vorschaltet, bei denen klar wird, daß die Entwicklung nicht komplett ist.
Im konkreten Fall hat Apple nun auf Risiko gespielt, und verloren. Man ist daraufhin (wahrscheinlich) kurzzeitig der Versuchung erlegen, das Feedback zu unterdrücken, statt aktiv zu reagieren. Anderenfalls hätte man sicher nicht die Kommentarfunktion deaktiviert.
Fazit: Der Rollout sollte so geplant werden, daß es möglich ist, ohne großen Gesichtsverlust umzusteuern, oder indem man das Release gleich so aufbaut, daß Kunden einem gezielt mit Feedback helfen können. Wenn man negatives Feedback erhält, bleibt eigentlich nur noch über, daß man damit positiv umgeht. Jegliche Form der Unterdrückung führt generell nur zu Problemen.
Der Mediator nimmt eine wichtige Rolle ein, da man nicht jede kritische Kundensituation selbst lösen kann. Im konkreten Fall hat Pogue quasi als Blitzableiter gearbeitet, und hat es möglich gemacht, daß Kunden und Apple sich auf die eigentlichen Inhalte konzentrieren konnten, bzw nicht in ihren eigenen Rollen verharrt sind.
Gleichzeitig hat der Mediatoransatz Apple gestattet, seine (natürliche) Verteidigungshaltung zu verlassen. Auch war es möglich, den Kunden zu kommunizieren, daß mancher Feedback auf falsche Bedienung zurückzuführen ist, oder auf Features, die nachgeliefert werden, weil sie sowieso geplant sind. Gerade das Problem, daß mancher Feedback auf Bedienungsfehler zurückzuführen ist, ist oft zu beobachten. Daher hat hier ein Mediator eine wichtige Funktion, denn nur über ihn kann ein Hersteller solche Punkte überhaupt adressieren.
Fazit: Um mit kritischen Kundensituationen umgehen zu können, ist es manchmal sinnvoll, Mediatoren einzuschalten. Dies können Blogger, wie Pogue sein, die Presse, oder zum Beispiel Vertreter von Kundenvereinigungen. Generell beobachtet man oft, daß eine Kundeneskallation aus mehreren Teilen besteht: Echten Defiziten, Fehlende Features und Workarounds, bzw Bedienungsfehlern. Die einzelnen Teile sollte man zunächst sorgfältig separieren, und schrittweise abarbeiten.
Apple ist erst dann, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war auf die Idee gekommen, den Kunden fehlende Features oder nachzuliefern, bzw die Lieferung zu avisieren. Gleichzeitig hat sich eine Sammlung im Web etabliert, die die Lücken auflistet. Solche Sammlungen nehmen generell eine wichtige Funktion ein, weshalb es unabdingbar ist, daß ein Hersteller darauf reagiert und eingeht.
Hier beginnt aber häufig auch ein Problem: Das Team, das an der Software arbeitet ist sicher nicht mit endloser Kapazität ausgestattet. Auf der anderen Seite ist fallweise eine schnelle Reaktion gefragt. Aus organisatorischer Sicht ist daher wichtig, daß das Entwicklungsmodell kurze Feedbackzyklen erlaubt, und inkrementelle Verbesserungen.
In meinen älteren Artikeln finden Sie weiterführende Informationen zum heutigen Thema:
Das Original dieses Artikels ist auf →Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links: