Erweiterte Buchbesprechung – Der Crash des Kapitalismus

Ulrich Schäfer macht in seinem Buch eine Rundreise zu verschiedenen Stationen des Kapitalismus. Er analysiert die Gründe, die zu der Wirtschaftskrise 2008 geführt haben, und schlägt einige Maßnahmen vor, die die Welt umsetzen muss, um diesen Zustand zu überwinden.

Das Buch ist aus zwei Gründen interessant für das Produktmanagement:

  • Man gewinnt einen Eindruck über den Zustand der Weltwirtschaft, und erhält ein umfassendes Bild der derzeitigen Marktparameter und Aufgabenstellungen vor denen wir im Absatzmarkt stehen
  • Man kommt zu einer perspektivischen Erweiterung seiner eigenen beruflichen Rolle, und den Zielen, die man sich selbst setzt.

Ich werde daher die Hauptgedanken des Buches etwas detaillierter darstellen, und kann Ihnen nur empfehlen, sich das Buch zu besorgen, und es aufmerksam zu lesen.

Welche Themen behandelt Schäfer?

Zunächst stellt Schäfer die geschichtlichen und theoretischen Grundlagen des Kapitalismus dar, und er klärt, welchen Weg die Welt genommen hat, um zum entfesselten Kapitalismus zu gelangen. Diese erste Station seines Buches endet mit Betrachtungen zur Blütezeit des Kapitalismus.

Von der Blüte zum Niedergang

Die zweite Station seines Buches behandelt den schrittweisen Niedergang dieser weltwirtschaftlichen Ordnung. Er behandelt die folgenden Phasen:

  • Phase 1 beginnt er mit einer Beschreibung von verschiedenen Finanzkrisen in einigen Schwellenländern in Asien und Lateinamerika, die unter den Namen Tequillakrise und Asienkrise in die Geschichte eingegangen sind.
  • Phase 2 handelt von der Internetblase und dem Niedergang der New Economy, die sich am Anfang des neuen Jahrtausends ereignet haben.
  • Phase 3 befasst sich mit dem Platzen der Blase des billigen Geldes. Diese Blase begann sich mit dem Ende der New Economy aufzubauen, und hat ihren vorläufigen Höhepunkt in der Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2008 gefunden.

Gründe

Im dritten Teil seines Buches analysiert er die gesellschaftlichen und sozialen Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben, und entwirft hieraus ein Programm gegen Absturz und die nächste Krise.

Die Grundlagen der entfesselten Marktwirtschaft

In diesem Kapitel betrachtet er die wesentlichsten Entwicklungen der Wirtschaftshistorie, die zu dem entfesselten Kapitalismus geführt haben, die derzeit die Weltwirtschaft bedrohen.

Der Neoliberalismus, der hierbei eine Schlüsselrolle spielt, hat sich in den 1930igern entwickelt, ursprünglich aus der Idee, dass ein starker regelnder Staat als Gegengewicht zu den Kartellen notwendig ist. Dies war ein unmittelbares Ergebnis der Lehre aus der ersten Weltwirtschaftskrise.

Diese Idee hat sich in mehrere Denkschulen weiterentwickelt.

  • Die Freiburger  Schule, unter Ihrem Vordenker Walter Eucken billigen dem Staat einen größeren Einfluss zu. Dieser soll verhindern, dass die großen Unternehmen zu mächtig werden, und sich zu Kartellen zusammenschliessen. Er soll weiterhin für Verteilungsgerechtigkeit sorgen. Dieser Gedanke hat sich weiterentwickelt zum Ordoliberalismus.
  • Die Vertreter der Chicago School dachten zunächst wie Eucken schwenkten dann jedoch unter Friedman’s Einfluss auf marktradikalere Ideen um. Die österreichische Schule unter Hayek fasst die Ökonomie analog auf.

Inzwischen ist der Begriff der entfesselten Marktwirtschaft stark mit den Namen Milton Friedman, und Hayek verbunden, die die folgende Auffassung populär gemacht haben:

„Der wahre Feind .. sei nicht der Markt, sondern der fürsorgliche Staat. Dieser lähme die Wirtschaft, er bremse das Wachstum, er enge die Menschen ein. Friedman fordert, dass sich der Staat soweit wie irgend möglich zurückzieht“ – Ulrich Schäfer

Keynes vertritt ein stückweit das Gegenteil. Keynes‘ Denken ist aus der Massenarbeitslosigkeit 1930 geprägt. Er glaubt im Gegensatz zu Friedman an einen starken Staat, der sich in der Rezession einmischt, und die Wirtschaft stimuliert.

Seine Ideen verbreiten sich in Europa in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg, und prägen die Politik bis sie von den neoliberalen Ideen abgelöst werden.

Der Weg dorthin

Der Grundtenor des Neoliberalismus wurde über viele Jahre in den Wirtschaftspolitiken verfolgt, z.B. durch Thatcher, und Reagan. Erst seit Friedman’s Tod, und aufgrund bissiger Kommentare des Nobelpreisträgers Krugman wird die Kritik an seinen Ideen zuletzt lauter.

Nach Schäfer ist die Geburtsstunde der entfesselten Marktwirtschaft der 15.08.1971. An diesem Tag eröffnete Richard Nixon den Amerikanern, dass er auf der gedanklichen Grundlage des Neoliberalismus gegen den damals dramatischen Absturz der Wirtschaft angehen wollte.

Er begann damit, dass er das damals gültige Bretton Woods System und den Goldstandard aufhob, und viele Unternehmen de-regulierte und privatisierte.

Auf den Finanzmärkten sorgt die Deregulierung schnell zur Entstehung von immer mehr und immer riskanteren Finanzanlagen. In der Folge haben die Aufsichtsbehörden weder genauer hingeschaut, noch diese Produkte richtig verstanden. Hinzu kam die Zunahme des Tempos an den Finanzmärkten durch die neuen Technologien. Heute sind die Finanzmärkte globaler als alle anderen Märkte.

Thatcher beginnt – auf der Grundlage einer Studie von Hayek – in Großbritannien mit der Entmachtung der Gewerkschaften, und unterzieht das Land einer Schocktherapie, z.B. indem sie in kurzer Zeit viele Staatsunternehmen verkauft. Sie verspricht sich hiervon eine wirtschaftliche Wiederbelebung des daniederliegenden Landes.

Ronald Regan setze besonders radikale Ideen der Supply-Side Ökonomen und der Neokonservativen aus der Chicago School um. Es beginnt damit, dass er die Steuern radikal senkt, die Wirtschaft von ihren Fesseln befreit, z.B. durch eine weitgehende Liberalisierung.

Helmut Kohl, und Kollegen schliesslich sorgen durch die Einführung des Euro für einen gemeinsamen Binnenmarkt, mit mehr Druck, mehr Wettbewerb und mehr Markt. Schröder schliesslich senkt die Steuern radikal, und befördert den Umbau der Deutschland AG zu marktradikaleren Strukturen.

Blütezeit

Die Blütezeit des entfesselten Kapitalismus in den 1990igern begann mit der zunehmenden Verbreitung der Computertechnik, und den damit möglichen Effizienzgewinnen.

Es bildet sich eine New Economy heraus, die sich aus der großen Phantasie nährt, im Internet reich zu werden. Die New Economy strahlt darüberhinaus in andere Wirtschaftsbereiche hinein. Auf ökonomischer Seite ist der längste Aufschwung seit vielen Jahren zu beobachten, der – merkwürdigerweise – ohne Inflation vonstattengeht. Dies führt dazu, dass man auch auf makroökonomischer Ebene zu glauben beginnt, dass die alten Gesetze nicht mehr gelten.

Aus den Ideen von Jack Welch (Vorsitzender GE) entwickelt sich in dieser Zeit das Schmiermittel der entfesselten Marktwirtschaft, der Shareholder Value (ursprünglich 1986 von Professor Rappaport in seinem Buch Shareholder Value: Wertsteigerung als Massstab für die Unternehmensführung).

„Diese Lehre ordnet das gesamte Handeln der Manager nur einem Ziel unter: Der Wert des Unternehmens soll steigen – und zwar schnell. Der Shareholder-Value-Manager schert sich nicht darum, ob er ein paar Tausend Leute entlasssen muss. Im Gegenteil: Er richtet sein ganzes Tun danach aus, den Aktienkurs nach oben zu treiben. Und besonders gerne sieht es die Börse, wenn Konzerne Leute feuern. Die perverse Logik nutzt vor allem den Managern. Denn sie werden zum größten Teil mit Aktienoptionen bezahlt“ – sagt Ulrich Schäfer

In diesem Klima kommt es zu immer mehr Megafusionen, und zu einem Aufstieg der Investmentbanken.

Die Investmentbanken unterliegen eine lange Zeit kaum Kontrollen, so dass sie hemmunglos spekulieren. Diese Banken gewinnen einen sehr großen Einfluss weltweit, durch die enormen Summen, die sie bewegen, und die Macht, die sie haben.

Der Niedergang

Der Niedergang deutet sich über mehrere Krisen in den Schwellenländern an (siehe hierzu meine Artikel von Krugman: Teil 1, Teil 2), d.h über die Tequilla Krise in Mexiko, oder die Asienkrise, die zum großen Teil durch finanzstarke Spekulanten befeuert wurden.

Gleichzeitig platzt die New Economy Blase. In der Folge entstehen regulierende Gesetze wie Sarbanes-Oxley oder dem Corporate Governance Kodex, die aber leider an der Problematik vorbeigehen, da sie die Teile der Wirtschaft aussparen, die die eigentliche Gefahr geworden sind: Das Finanzsystem mit seinen teilweise undurchschaubaren Produkten.

Der finale Akt wird eingeleitet durch die Subprimekrise in den USA, und dem Platzen einer Blase auf den dortigen Immobilenmärkten. Die weitere Entwicklung ist hinreichend bekannt, und nur noch einmal schlaglichtartig skizziert (siehe auch die oben erwähnten Artikel von Krugman):

  • Lehman Pleite
  • Bankenkrise und Zusammenbruch des Interbankenhandels
  • Konzertierte Stabilisierungsprogramme der Regierungen und umfangreiche Stützungsmaßnahmen im Weltfinanzsystem
  • Ausweitung der Finanzkrise zu einer Wirtschaftskrise

Programm gegen den Absturz

Schäfer schlägt neben der Stabilisierung vor, die entfesselte Marktwirtschaft zu zähmen, und dem Kapitalismus seine zerstörerische Kraft zu nehmen.

Hierzu müssen klare Regeln vorgegeben werden. Der Staat muss in Zukunft eine weitaus wichtigere Rolle spielen, so auch ein Tenor des Unternehmertreffens in Davos 2008. Das Bild vom Markt, der alles selbst regelt muss ad acta gelegt werden.

An den folgenden Stellen hat die Wiederkehr des Staates bereits stattgefunden:

  • Rettungsprogramme für Finanzkonzerne
  • Konjunkturpakete
  • Eingriffe in die Finanzmärkte, und deren Regeln

Zentrales Thema ist für ihn die Rettung und anschliessende Bändigung der Finanzmärkte, sowie ein Umbau der Marktwirtschaft.

Die Regeln für diesen Umbau sind:

  1. Banken nur dann retten, wenn sie anschliessend reguliert werden
  2. Das Schattenbankensystem muss zerstört werden
  3. Hedgefonds müssen schärfer kontrolliert werden
  4. Ratingagenturen müssen zerlegt und kontrolliert werden
  5. Gehälter der Banker müssen begrenzt werden, und es muss Anreize geben, nachhaltig zu investieren
  6. Finanzmärkte müssen global beaufsichtigt werden, z.B. durch Weltbank oder IMF
  7. Die Steuerschlupflöcher und Gebiete mit Offshorebanking müssen verschlossen werden
  8. Es muss eine Umverteilung von oben nach unten stattfinden durch höhere Steuern bei den Reichen, und eine Entlastung beim Mittelstand
  9. Erbschaftssteuer muss steigen
  10. Börsenumsätze müssen besteuert werden
  11. Bessere Flexibiität für Firmen, und mehr Sicherheit für Beschäftigte, wie z.B. im dänischen Modell
  12. Gerechte Entlohnung auch der unteren Einkommensgruppen (Mindestlohn)
  13. Investitionen in Bildung
  14. Bildung muss dieselbe Priorität haben, wie soziale Sicherung
  15. Staatsausgaben rauf, wenn eine schwere Rezession droht (und runter in Phasen des Hochs)
  16. Höhere Flexibilität der Wirtschaft schaffen

Er sieht folgende Risiken und mögliche Entwicklungen nach dem Ende der aktuellen Krise, die nicht viel besser sind:

  1. Deindustrialisierung nach einer Krise der Industrie
  2. Flucht aus dem US Dollar, und Inflation
  3. Staatsbankrott

Schlussbetrachtung

Wenn Sie die aktuelle Presse etwas verfolgen, werden Sie sicher auch feststellen, dass einige Entwicklungen bereits eingetroffen sind.

So hat z.B. jüngst Obama angekündigt, gegen das Schwarzgeld in Offshore Ländern vorgehen zu wollen, oder es werden Vermutungen lauter, die davon ausgehen, dass sich die Globalisierung der letzten Jahre ein Stück weit zurückdrehen wird.

Auch kann man im Handelsblatt eine regelrechte Renaissance von Keynes beobachten, oder es werden auch im bürgerlichen Lager Stimmen lauter, die die hohen Managergehälter anzweifeln. Auch sind inzwischen Studien bekannt geworden, die die obigen Risiken wahrscheinlich erscheinen lassen.

Demnach können wir davon ausgehen, dass diese Krise auch strukturelle Änderungen mit sich bringen wird, und dass es deshalb notwendig ist, für unsere Unternehmen, und Produkte einen neuen Platz zu bestimmen.

Zum Buch

Hier geht’s zum Buch: Schäfer → Der Crash des Kapitalismus: Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte und was jetzt zu tun ist

Weiterführende Informationen

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

3 Responses to “Erweiterte Buchbesprechung – Der Crash des Kapitalismus”

  1. Emanuel Fairless sagt:

    Amazing site, where did you come up with the knowledge in this summary? I’m happy I found it though, ill be checking back soon to see what other articles you have.

  2. Hi Emanuel Fairless

    this post is a summary of a book, which exists in German only – as I checked (Schäfer, Der Crash des Kapitalismus: Warum die entfesselte Marktwirtschaft scheiterte und was jetzt zu tun ist). However, to a large extent, it is a summary of basics in Economics. It would go too far to give you a complete reading list. Nevertheless, Paul Krugman, and Galbraith have made some interesting comments on the particular topic (they exist in English)

    Here the you find, what I have written about their work:

    http://www.produkt-manager.net/?s=Galbraith
    http://www.produkt-manager.net/?s=Krugman

    Krugman has a blog at http://www.nytimes.com, where you can get him online.

    If you want to dig deeper: The entire topic is part of something called Political Economy: http://en.wikipedia.org/wiki/Political_economy

    regards,
    Andreas

  3. Hi Ernesto Sakuma

    thanks for your feedback. I have extended the blogging software. Now you can access the RSS link also from within an article. The other option is to use the subscribe feature on the homepage.

    regards
    Andreas