Usability und Komplexität – Tipps zur Fortbildung

Ich habe mir zwei Online-Schulungen der Stanford University angesehen, die sich mit verwandten Themen beschäftigen, und die dabei helfen, gebrauchsfähige Software zu entwickeln.

In der einen Vorlesung ging es um das Thema „Wahrnehmungspsychologie“, also die Frage, wie die Biologie des Wahrnehmens beim Menschen funktioniert, und welche Anforderungen sich daraus an Software ableiten lassen.

Der zweite Vortrag befasst sich mit der Komplexität von technischen Systemen, und räumt u.a. mit dem Mythos auf, dass Nutzer immer die einfache Lösung suchen.

Psychologie der Wahrnehmung

Software und viele technischen Systeme werden (oft) von Menschen bedient. Viele Anforderungen und damit die Usability von Software leiten sich quasi automatisch aus den Merkmalen ab, die die Sinnesorgane mitbringen, mit denen die Nutzer der Software ausgestattet sind.

Der Vortrag

Der Vortrag zeigt – Viele UI Regeln ergeben sich aus den Gesetzmäßigkeiten nach denen Menschen wahrnehmen, denken, lernen und agieren.

In seiner Vorlesung „The Psychological Basis for UI Design Rules“ stellt Jeff Johnson solche Zusammenhänge und Regeln vor:

Leider kommt er etwas in Zeitverzug, und überschlägt sich zum Ende. Jedoch bekommt man die Grundaussagen mit.

Beispiel

Damit Sie sich ein Bild davon machen können – In seiner Vorlesung macht er viele Beispiele, und man lernt beispielsweise, daß das periphere Sehen des menschlichen Auges nur schlecht funktioniert, d.h Nutzer nur das genau sehen können, was das Auge fokussiert, während er Gegenstände, die sich im Augenwinkel zeigen, nur sehr eingeschränkt sieht.

Aus diesem Baumuster unseres Sehorgans ergibt sich die Forderung, daß man Fehlermeldungen möglichst in der Nähe der Fehlerquelle anordnet, und auch durch Icons hervorhebt.

Anwendung der Warnehmungspsychologie

Das obige Beispiel zeigt, welche Erkenntnisse der Vortrag liefert, und wie man diese Erkenntnisse nutzen kann, um gute Software zu entwerfen.

  • Zunächst sollte jeder Softwareentwickler und Produktmanager die Funktionsweise der menschlichen Sinnesorgane und Informationsverarbeitung verstehen, und damit „Defizite“ kennen.
  • Aus diesem Wissen leitet man sich definierte und konsistente Designregeln für die eigene Software ab.
  • Man stellt sicher, daß man nach diesen Regeln entwickelt
  • Die User Interfaces sollten oft und detailliert getestet werden – auch und gerade mit Nicht-Experten.

Komplexität technischer Systeme

Der Vortrag „Living with Complexity“ von Don Norman ist kürzer gehalten, als der obige Vortrag. Ein großer und interessanter Teil ist der Fragenteil am Ende, weil der Referent dort wichtige Ergänzungen behandelt.

Der Vortrag

Der Vortrag verdeutlicht, daß der alte Lehrsatz nicht stimmt, wonach Produkte möglichst einfach sein sollen.Vielmehr ist die Welt komplex, und dürfen technische Systeme gerne komplex sein – alleine schon, damit die Nutzer nicht die Lust verlieren.

Jedoch sollte die Komplexität so verpackt werden, daß sie den Menschen nicht überfordert.

Grundideen

Der Referent verdeutlicht seine Ideen, indem er viele praktische Beispiele zeigt, wie Komplexität daherkommt. Unter anderem analysiert er mit dem iPod das Paradebeispiel eines komplexen Produktes, das einige Grundregeln einhält.

Seine Thesen in diesem Beispiel sind:

  • Apple (aber auch Amazon mit dem Kindle) haben verstanden, welche Art von Komplexität den Nutzer bei den Wettbewerbsprodukten stören, und haben dort angesetzt. Beispielsweise hat es Apple deshalb sehr den Nutzer sehr einfach gemacht, die Musik zu verwalten, und auf den iPod zu spielen.
  • Apple hat das Gesamtsystem schlüssig gestaltet, indem man beispielsweise Lizenzabkommen mit den Musikverlagen abgeschlossen hat, die sichergestellt haben, daß die Nutzer die Musik auch auf den Musikspieler übertragen durften.
  • Die beteiligten Systeme (iTunes, iPod, etc) lassen sich nach einem einheitlichen Schema bedienen, und sind deshalb „einfach“, weil konsistent.

Darüberhinaus geht er auf die Rolle des Designs ein, behauptet aber, daß die Leute den ersten iPod nicht nur deshalb gekauft haben, weil er schön war, sondern eben aus den oben erwähnten Gründen eines stimmigen Gesamtsystems.

Anwendung

Der Vortrag liefert viele Denkanstöße  für den sinnvollen Umgang mit Komplexität – und so kann man die Inhalte auch in der praktischen Arbeit anwenden.

  • Beispielsweise sollte man sich im Designprozess frühzeitig das Gesamtsystem überlegen. Es reicht nicht aus, sich nur auf einzelne Produktmerkmale zu konzentrieren. Vielmehr benötigt man ein gutes Bild der Zusammenhänge, um genau zu verstehen, wie die einzelnen Teile zusammenpassen müssen.
  • Ein System sollte so gebaut werden, daß Nutzer schnell einsteigen können, und Lernerfolge sehen (Komplexität verstecken).
  • Um nicht langweilig zu werden gilt: Darüberhinaus sollte das System aber auch komplizierter werden (ähnlich wie ein gutes Computerspiel) – je weiter der Nutzer in seinem Know How kommt.
  • Viele Anforderungen ergeben sich aus der Lebensphase eins Produktes. So werden manche Features benötigt, nur damit sich ein Produkt gut verkauft (sie werden später kaum benutzt). Andere Features sind nicht wichtig für den Verkaufsprozess, jedoch später für die Anwendung. Ein Produkt sollte daher an den Phasen orientiert sein, und ggfs so aufgebaut, daß unnötige Features versteckt werden können, um die Komplexität nicht sinnlos zu erhöhen.

Passend hierzu postuliert der unten angefügte Artikel „Unsere selbst verschuldete Komplexität„:

Mit anderen Worten: Was uns plagt, ist selbst geschaffene Komplexität. Sie wäre vermeidbar, wird aber stattdessen durch das Streben nach engem Wissen in einer weiten Welt verstärkt.

Diesen Lehrsatz kann man vielleicht sogar auf das gestrige Wahlergebnis anwenden – in diesem Sinne wird es sicherlich spannend werden und bleiben.

Weiterführende Informationen

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

Comments are closed.