Wieviel Innovation vertragen die existierenden Produkte

Jedem Produzenten passiert es sicherlich (und hoffentlich) häufiger, daß über die Kreativität der Entwicklungsmannschaft neue Produktanforderungen entstehen. Neulich habe ich an anderer Stelle eine Diskussion verfolgt, die ich heute hier weiterführen möchte, weil sie sich in der Schnittstelle zwischen Innovation, und bestehenden Produkten abspielt.

Zentrale Fragen

Stellen Sie sich vor, daß eines Ihrer existierende Produkte eine gegebene Architektur verwendet, und erfolgreich vermarktet wird. Im Rahmen Ihrer innerbetrieblichen Innovationsprozesse entstehen nun neue Anforderungen an das Produkt.

Für Produzenten, die Produkte herstellen, die man schrittweise verbessern kann (z.B. Software, die man upgraden kann), stellen sich die folgenden Fragen:

  • Wieviel Innovation verträgt ein existierendes Produkt?
  • Soll man seine Kreativität beim Entwickeln neuer Produkte einschränken, oder abhängig machen von den bestehenden Produkten?
  • Wie organisiere ich den Innovationsprozess optimal?

Sind diese Fragen wichtig?

Warum diese Fragen wichtig sind? Nun, die erste Frage besagt, daß ein bestehendes Produkt nur ein begrenztes Maß an Innovation verträgt, und man sich also überlegen muss, wie man sein existierendes Produkt vor „zuviel“ Innovation „schützt“.

Die zweite Frage besagt, daß es Restriktionen geben kann, die dafür sorgen, daß die Kreativität negativ beeinflusst wird. Die dritte Frage deutet darauf hin, daß die Organisation des Innovationsprozesses wichtig ist, um auf der einen Seite existierende Produkte vertreiben zu können, und auf der anderen Seite Innovationen hervorzubringen.

Überlegungen

Hier möchte ich auf einige ausgewählte Aspekte eingehen, die Ihnen helfen sollen, die obigen Fragen für Ihre Produkte zu beantworten.

Produktstandards

Jedes existierende (Software-) Produkt folgt gewissen Minimumanforderungen/Standards. Beispiel hierfür sind zum Beispiel die Sicherheit des Produktes, Anforderungen an die Bedienbarkeit, Festlegungen zum Betrieb, etc. Solche Standards haben sich oft über einen längeren Zeitraum ergeben, und sind oft durchgängig eingeführt.

Berührt eine Innovation diese Standards (z.B. weil ein neues Paradigma entsteht, wie man das Produkt bedienen kann), wird es kniffelig. Auf der einen Seite ist es wichtig, neue Bedienkonzepte zu probieren. Auf der anderen Seite sollte man diese erst dann einführen, wenn man sie komplett umsetzen kann. Tut man dies nicht, schwächt man das existierende Produkt unnötigerweise, da dann die Konsistenz leidet.

Um also an Innovationen zu arbeiten, ohne die  bestehenden Produkte zu beeinflussen, ist eine Trennung der Bereiche notwendig. Dies kann man zum Beispiel dadurch erreichen, daß man die geänderten Produkte als Ergänzung anbietet, und klare Schnittstellen formuliert.

Produktpolitische Entscheidungen

Einige Entscheidungen sind zu wichtig, als dass man sie dem Zufall überlassen sollte. Kommt es zum Beispiel zu einer Weiterentwicklung in einer Basistechnologie, die sich nicht über eine eindeutige Schnittstelle vom Ursprungsprodukt trennen läßt, ist es wichtig, den Überblick zu behalten, und das Timing richtig zu gestalten.

Änderungen in Basistechnologien führen oft dazu, daß Kunden Ihr Produkt auf einen Releasestand upgraden müssen, in dem die Änderung dann enthalten ist (z.B. ein neues Bedienkonzept). Veränderungen, wie upgrades, sind stets mit Risiken und Kosten verbunden.

Ist der Einbau der neuen Technologie schlecht geplant, kann dies dazu führen, daß einige Kunden auf dem kleineren Releasestand bleiben. Diese Kunden fallen dann als Kunden für das höhere Release aus. Es besteht die Gefahr, daß man sich selbst long Tail Produkte schafft, d.h. Produkte, die nur von wenigen Kunden verwendet werden.

Im Sinne der Innovation bedeutet dies, daß man die Übernahme einer Innovation in das Hauptprodukt strategisch planen  sollte, und zwar so, daß möglichst viele Kunden diese Innovation auch einsetzen wollen und können.

Produktreife

Manche Änderung, die durch Innovationen entsteht, läßt sich nicht sofort in dem Umfang einführen, wie man sie vom Hauptprodukt gewöhnt ist (Zeit- und Ressourcenmangel). Ein solcher Fall tritt ein, wenn Sie zum Beispiel Ihr Produkt in 10 Sprachen anbieten, aber nur in der Lage sind, eine innovative Erweiterung in einer Sprache zu liefern. Oder Sie entwickeln ein neues Teilprodukt, und wollen bereits mit einer funktionell eingeschränkten ersten Version auf den Markt gehen.

Meiner Erfahrung nach ist es nicht unbedingt immer notwendig, darauf zu warten, daß das Produkt vollkommen ausentwickelt ist. Vielmehr kann es auch gelingen mit einer eingeschränkten ersten Version zu punkten. Wichtig hierbei ist jedoch, daß dies aufgrund einer Entscheidung geschieht, und nicht aus Zufall, und, daß sie in der Lage sind, wichtige von unwichtigen Anforderungen zu unterscheiden.

Ich empfehle Ihnen daher, die Anforderungen so komplett wie möglich zu formulieren. Später in der Umsetzung können Sie sich dann immer noch entscheiden, nicht alle Anforderungen sofort umzusetzen. Was Sie auf keinem Fall machen sollten, ist, einige Anforderungen überhaupt nicht zu beachten, mit dem Argument, daß man doch erst nur eine erste Version entwickeln will. Das Risiko ist einfach zu groß, eine wichtige Anforderung zu vergessen.

100% Anspruch tötet Innovation

Aus der Sicht der Innovation formulieren die Standards, und ganz allgemein das existierende Produkt, eine hohe Hürde für die Einführung. Wenn man diese Einführung nicht sorgsam plant, läuft man in die Gefahr, daß den Neuentwicklungen zu viel abverlangt wird. Hierbei besteht die Gefahr, daß eine Innovation deshalb unterbleibt, weil man sich nicht zutraut, sie später auch umzusetzen.

Um dieses Problem zu vermeiden, sollte man Neuentwicklungen immer in einem abgeschirmten Bereich durchführen, der darauf ausgerichtet ist, die Eingangshürden zu minimieren.

Weiterführende Informationen

… auf www.Produkt-Manager.net

In meinen älteren Artikeln finden Sie weiterführende Informationen zum heutigen Thema:

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Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

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