Simon Hage vom Manager Magazin hat neulich eine gute Analyse zu den Bedingungen geschrieben, die bei Nokia zum Verlust der Marktführerschaft geführt haben (siehe → Wie Nokia Apple und Google kontern will).
Irgendwie sind die Fehlentwicklungen doch so typisch, daß es sich lohnt, näher darüber nachzudenken.
Der Analyse folgend, sind bei Nokia mehrere Faktoren zusammengekommen. Zusammengenommen haben sie dafür gesorgt, daß Nokia inzwischen zum Übernahmekandiaten geworden ist, und weit abgeschlagen hinter seinen Wettbewerbern rangiert.
Die wohl wichtigste Fehlentwicklung war, daß
„Nokia hat nicht nur die Kraft seiner Marke verloren, …sondern auch seine Innovationsmacht und das Image des Branchenführers eingebüßt.“ hat
Diese Entwicklung ist eingetreten, obwohl es nicht an guten Ideen gefehlt hat. So hat man zum Beispiel bereits im Jahre 2003 die Idee gehabt, einen „App-Store“ anzubieten (mit dem andere Firmen später erfolgreich geworden sind), und hat an der Umsetzung gearbeitet. Auch Geräte, die ähnlich den heutigen (erfolgreichen) Smartphones konzipiert waren, befanden sich früh in der Entwicklung.
Die Gründe für das Stoppen dieser guten Ideen waren wohl simpel. Zum Beispiel wurden zukünftsträchtige Produkte wegen des „not invented here“ Syndroms im Mittelmanagement gestoppt, oder hat man Geräteentwicklungen eingestellt, weil man sich nicht dem Risiko eines Flops aussetzen wollte. Das Top Management hat, bzw konnte nichts dagegen tun.
Hinzu kam (wie die Analyse behauptet), daß es wegen den vielen Besitzstandwahrern und wegen der komplexen Organisation nicht gelang, die Firma umzuorganisieren. Die komplexe und unklar strukturierte Organisation, und die Vielzahl der Leute, die an Entscheidungen beteiligt waren, hat (zunächst noch gewollt) zu innerbetrieblichen Konkurrenzsituationen geführt, und zu Doppelentwicklungen. Auch haben viele Führungskräfte so gut verdient, daß sie ihre Innovationsfreude eingebüßt haben. Auch war möglich, daß einzelne Mitarbeiter komplette Ideen zu Fall bringen konnten.
Ein weiteres Problem bahnte sich auf der Seite des Betriebssystems an. Früher war Symbian (Nokia’s Betriebssystem) der Branchenstandard. Es hat diesen Status verloren, da viele Partner zum (besseren) Konkurrenzprodukt abgewandert sind. Eine Ursache war die fehlende Vereinheitlichung und Plattformfähigkeit, und damit die hohen Entwicklungskosten.
Um wieder erfolgreich zu werden, will Nokia seine Produktpalette verschlanken, und will die einzelnen Produkte aufwerten, d.h besser machen. Auch hat man vor, die Software zu vereinfachen, um so die Entwicklungskosten zu vermindern.
Sehr vermutlich wird auch die Organisation verschlankt. Auch konzentriert man sich verstärkt darauf, die Wettbewerber anzugreifen.
Aus meiner Sicht hat Nokia einige Binsenweisheiten nicht beachtet, die eigentlich jeder Produktmanager kennt, und hat dadurch Schiffbuch erlitten.
Grundsätzlich ist es immer eine schlechte Idee, wenn man innovative Produkte, und die normalen bread-and-butter Produkte innerhalb derselben Organisation bearbeitet.
Einmal benötigen Mitarbeiter für die jeweiligen Aufgaben unterschiedliche Skillsets, d.h. fangen automatisch an, sich auf einen Produkttyp zu konzentrieren.
Dann stehen innovative Produkte und die anderen Produkte auch in zeitlicher und ökonomischer Konkurrenz. Hierbei kann es schnell passieren, daß sich die Teams auf die „alten“ Produkte konzentrieren, weil diese einen höheren Deckungsbeitrag erwirtschaften, als es die Innovationen derzeit noch tun. Oder man erhält viele Kundenfragen zu den existierenden Produkten, d.h. priorisiert diese höher, da es ja Kunden gibt.
Dieser Ausblendeffekt scheint auch Nokia eingetreten zu sein. Um mit diesem Problem umzugehen, ist es sinnvoll, die Verantwortlichkeiten für bestehende Produkte, und für Innovationen zu trennen. Auch ist es sinnvoll, daß man Innovationen und Innovationsräume schützt, indem man zum Beispiel Freiräume gibt, die nicht nach den konventionellen ökonomischen Kriterien funktionieren (Firmen wie Google verwenden hierfür den Good Friday).
Das not-invented-here Syndrom tritt oft dann auf, wenn eine Firma zu geschlossen ist, und sich die Einstellung durchsetzt, daß die besten Ideen innerhalb der Firma entstehen. Um hiermit umzugehen, ist es sinnvoll, zunächst einmal mit Partnern und Kunden zusammenzuarbeiten, d.h. unmittelbar externe Ideen zu erfahren.
Auch kann es sinnvoll sein, wenn man die Mitarbeiter dazu anhält, auch externe Anstöße aufzunehmen. Das Produktmanagement könnte zum Beispiel dazu angehalten werden, in die Business Cases Informationen zu Markt und Wettbewerb aufzunehmen, und diese zu bewerten.
Not-invented-here kommt auch vor, wenn Mitarbeiter zu lange auf derselben Stelle verharren. Man sollte daher auf Job-Rotation setzen, und auf gelegentliche Umorganisationen.
Viele Produkte bauen auf dem Plattformgedanken auf. Dabei verwendet man eine gemeinsame Grundlage, auf der man unterschiedliche Produkte entwickelt. Apple zum Beispiel besitzt unterschiedliche AppStores (für iPhone/iPad, sowie für Mac OS-X). Diese AppStores gründen sich auf einer einheitlichen Softwarearchitektur.
Normalerweise haben die unterschiedlichen Nutzer unterschiedliche Anforderungen, und es besteht eine Tendenz, die Plattform divergieren zu lassen, um diese Anforderungen besser abzubilden (ganz besonders, wenn auch Zeitdruck hinzukommt). Wie das Nokia-Beispiel zeigt, sollte man diesen Tendenzen nicht unkritisch folgen, sondern man sollte darauf achten, auch in die Plattform zu investieren. Hierfür benötigt man dezidierte Entscheidungsprozesse.
Bei Nokia sind viele Ideen im Mittelbauch versandet, und wesentlich schlimmer, es gab keine Gegenwehr des Top Managements, das diese Tendenzen eigentlich hätte erkennen sollen. Eine Ursache für dieses Problem kann sein, daß sich das Top Management mit anderen Themen, als dem Thema „Produkt“ befaßt, und, daß es deshalb viele gute Ideen nicht umfassend versteht. Auch kann eine gewisse Ferne zum alltäglichen Betrieb ein Auslöser sein,
Eine andere Ursache kann im Portfolioprozess liegen. Wenn es nicht gelingt, die Produktpalette auszudünnen, zu priorisieren und zu strukturieren, ist Verzettelung vorprogrammiert.
Es ist daher wichtig, Innovationen zu managen. Auch sollte sich Management regelmäßig auch mit Produkten beschäftigen. Ein weiterer Ansatz ist, daß man Top Manager an den Meetings von Scrum Teams beteiligt, damit diese die realen Probleme mitbekommen.
In meinen älteren Artikeln finden Sie weiterführende Informationen zum heutigen Thema:
Das Original dieses Artikels ist auf →Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links: