John Kenneth Galbraith: Der Grosse Crash 1929: Ursachen, Verlauf, Folgen. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Max Otte, 4.Aufl 2008, München befasst sich mit den Lehren aus der Weltwirtschaftskrise von 1929.
In seiner Einleitung zur Neuauflage von Galbraith nennt Prof Otte die folgenden Klassiker, die sich mit Wirtschaftskrisen befassen:
Er beginnt seine Einleitung mit der Feststellung, dass im Sommer 2007 (nach dem Zusammenbruch erster Hedge Fonds, und mit dem beginnenden Start einer Bankenkrise) vielen Menschen klar wurde, dass das Geschehen an den Weltbörsen nicht nur von grenzenlosem Optimismus geprägt ist, sondern, dass auch Zeiten der schieren Angst möglich sind. Deshalb hält er Galbraiths‘ Buch nach wie vor für aktuell.
Während vor 1929 der Boom von Investment Trusts die Krise einleiteten (in den Jahren 1927 bis 1929 nahm das Volumen der Investment Trusts um das 11 fache zu), sind es nach Otte heute Hedge Fonds und Private Equity Firmen. Genau wie 1929 seht heute die Investmentbank Goldman Sachs mit im Zentrum von Spekulation die in ein Desaster führten. Damals waren es die Investmenttrusts Blue Ridge Corporation, und Shanandoah. In 2007 war es der Hedge Fonds Global Alpha.
Ursache für die Krise 1929 waren überbordende Spekulationen, die in der Zeit vor 1929 stattgefunden haben. Von Zeit zu Zeit kommen Spekulationsblasen vor, oft dann, wenn die Menschen beginnen, die Lehren der Vorfahren zu vergessen. Der große Crash 1929 führte zu einer rasanten Abnahme der Güternachfrage, und setzte die Kreditmärkte außer Kraft. Sie stoppte für eine sehr lange Zeit das Wirtschaftswachstum, und sie radikalisierte viele Menschen, die sich vom Wirtschaftssystem abwendeten. In Europa besteht zudem auch ein Zusammenhang zwischen der Weltwirtschaftskrise und der Radikalisierung der Menschen, die sich schließlich im zweiten Weltkrieg entlud.
Galbraith und Prof. Otte benennen in Buch und Einleitung diverse Ursachen für das Entstehen der Krise 1929. Die Hauptgedanken fasse ich in den folgenden Kapiteln kurz zusammen.
Eine stark ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung, sorgt dafür, dass sich das Vermögen auf wenige Haushalte konzentriert. Dieser kleine Teil der Haushalte besitzt dann soviel Vermögen, dass er es nicht mehr ausgeben kann. Die überschüssigen Finanzmittel fließen allzu leicht in spekulative Vorhaben, und damit Finanzinvestitionen, die anstelle der laufenden Erträge die Wertsteigerung in das Zentrum der Betrachtung stellen. Der spekulative Charakter der Mittelverwendung macht die Wirtschaft anfällig gegen Krisen.
1929 verfügten ca 5% der Haushalte über 33% des gesamten Einkommens, und hatten damit einen doppelt so hohen Anteil wie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In den letzten 20 Jahren unserer Zeitrechnung hat die Globalisierung, und eine entfesselte Marktwirtschaft dazu geführt, dass 6,3% der Haushalte wieder über 33% des Einkommens verfügen (Daten von 2004), wobei die Lage in 2007/2008 sich eher noch weiter in Richtung der Verhältnisse von 1929 verschoben hat. Genau wie früher ist deshalb ist auch die heutige Weltwirtschaft extrem krisenanfällig.
Die schlechte Struktur der Kapitalgesellschaften hat 1929 zum Entstehen einer spekulativen Blase beigetragen. Vor 1929 sind Holdings und Investment Trusts entstanden die Gelder eingesammelt und gegen einen Gewinn wiederum in Aktiengesellschaften investiert haben. Die Holdings und Investment Trusts wurden an der Börse zu Preisen gehandelt, die sich immer weiter von dem wahren Wert der Unternehmen entfernt haben, aus denen sie bestanden. Die zunehmende Entfernung von der Realität führte zu einem großen Optimismus, und schließlich zu einer Spekulationsblase.
Vor der ersten Ölkrise 1972 waren wieder neue Aktienfonds entstanden. Die Blue Chip Unternehmen wurden damals zu einem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 40 gehandelt. In der Phase bis 1982 kam es jedoch zu einer Seitwärtsbewegung der Märkte ohne eine ausgeprägte Blase, und schließlich 1987 zu einem Minicrash, der durch eine Hedgefondsstrategie entstand, die damals eingeführt wurde (Portfolioversicherungen).
Erst in 2000 kamen verbriefte Produkte, Finanzderivate, Hedge-Fonds und Private Equity Anlagen auf, die in großem Umfang an der Börse investiert haben. Diese Anlageformen und Firmen haben sich eine leichtsinnige Geldpolitik zunutze machen können, die lange Jahre für eine sehr große Geldmenge zu niedrigen Kosten gesorgt hatte. Viele dieser Firmen konnten, und haben sich und die gekauften Firmen deshalb hoch verschuldet. Mit der hohen Verschuldung ist die heutige Weltwirtschaft krisenanfällig geworden.
1929 war die schlechte Struktur des Bankensystems ein großes Problem. Damals sind im Rahmen der Krise nach und nach Banken zusammengebrochen. Wenn eine Bank zusammenbrach, wurde das Vermögen der anderen Banken eingefroren. Dies jedoch warnte den Markt vor, der nun wieder selbst Gelder abzog, und hierdurch zu einer Kettenreaktion beitrug. Diese Kettenreaktion hat dazu geführt, dass im weiteren Verlauf die Sicherheiten auch für solide Kredite weggefallen sind wodurch der Markt immer stärker und schneller kollabierte.
Im Gegensatz hierzu haben viele Banken nach 2000 von sich aus unverantwortlich gehandelt indem sie mit Hilfe von finanzmathematischen Verfahren Kreditrisiken gebündelt und verbrieft haben. Die hohen Risiken wurden mit Hilfe von Ratingagenturen in AAA-Anleihen umgewandelt, die viele unbedarfte Anleger dann gekauft haben. Diese hohen Risiken und schlechten Kredite wurden so über die ganze Welt verstreut. Da Derivate derzeit das 5-fache des Weltsozialproduktes ausmachen, sind die heutigen Risiken aus dem Bankensektor sehr viel größer als die Risiken 1929.
Die problematische Struktur des Außenhandels hat 1929 zu großen zwischenstaatlichen Ungleichgewichten geführt. Auslandsvermögen, die durch einen Außenhandelsüberschuss zustande kommen, führen auf der anderen Seite zu Schulden, und Krediten. Werden die Ungleichgewichte zwischen Außenhandelsüberschuss und -defizit zu groß, sind Instabilitäten unvermeidlich. 1929 hatten die USA einen sehr hohen Außenhandelsüberschuss. Dem standen Anleihen in Lateinamerika und Europa gegenüber, die teilweise nicht mehr bedient werden konnten.
Heute hat sich das Verhältnis umgedreht, und die USA sind die größte Schuldnernation der Welt (derzeit belaufen sich die Auslandsschulden auf über 30% des Bruttosozialproduktes). Heute halten China und Japan ca 40% der Weltwährungsreserven.
Die heutige Schuldenquote der USA ist höher als die Schuldenquote, die die Länder Lateinamerikas vor dem Beginn ihrer Schuldenkrise in den 80iger Jahren vorzuweisen hatten. Die USA kann diese hohe Auslandsverschuldung nur abbauen, indem sie weit mehr exportiert als importiert, oder indem sie ihre Währung abwertet. Beide Entwicklungen sind sehr problematisch für die übrigen Länder, und die Weltwirtschaft insgesamt.
Fehlgeleitete Geld- und Fiskalpolitik sowie falsche wirtschaftspolitische Ratschläge der Ökonomen waren 1929 Mitschuld an der Tiefe und Dauer der Krise. Damals haben viele Staaten versucht, die Haushalte auszugleichen, und so inmitten der Krise zu einer weiteren Kontraktion der Nachfrageseite beigetragen. Auf der anderen Seite hat man, aufgrund von Inflationsängsten, die Geldpolitik nicht gelockert, und so die Rezession noch verschärft.
Heute finden wir eine Situation vor, in der seit 70 Jahren eine expansive Geldpolitik verfolgt wird. Diese Expansion hat die Instrumentarien der Geld- und Fiskalpolitik stumpf werden lassen. Als zum Beispiel vor kurzem hunderte von Milliarden USD zusätzlicher Liquidität zur Krisenbewältigung bereitgestellt worden ist, hat der Interbankengeldhandel sich trotzdem nicht mehr nennenswert verändert. Oder Japan, dass seine letzte Krise mit einer vorbildlichen keynsianischen Politik bekämpft hat (und hierfür eine hohe Verschuldung in Kauf genommen hat) fand sich trotzdem in einer anhaltenden und schleichenden Depression wieder, die nun bereits länger als ein Jahrzehnt andauert.
Nach den Lehren die Galbraith aus der Krise 1929 gezogen hat, und den Querverweisen von Otte auf die heutige Situation, können wir davon ausgehen, dass der heutigen Weltwirtschaft einige sehr magere Jahre bevorstehen werden. Diese werden verbraucherseitig begleitet sein von einem Rückfahren von finanziellen Hebeln und von einer Abnahme der Verschuldung. Beides führt zu einer Verminderung der Nachfrage. Daneben besteht weiterhin die Gefahr einer massiven Geldentwertung.
Ich halte das Buch für lesenswert für die Produktmanager, die sich mit den strategischen Aspekten des Produktmanagement befassen. Es wird sehr klar, dass es Parallelen gibt zwischen dem heutigen Zustand der Weltwirtschaft, und der damaligen Situation. Vieles spricht dafür, daß neue Strategien notwendig sind, wenn wir weiterhin erfolgreiche Produkte gestalten wollen, oder wenn wir weiterhin erfolgreich im Markt bleiben wollen.
Das Original dieses Artikels ist auf →Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Regelmäßige Artikel gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen. In der Online Version finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links: