Innovation, Segmentierung und die Aufgabe

Im Harvard Business Review wurde kürzlich unter der Überschrift „Clay Christensen’s Milkshake Marketing“ ein Artikel erneut verteilt, der auf die Rolle der Marktsegmentierungstechnik beim Entwickeln innovativer Produkte eingeht.

Der Ansatz ist zwar nicht ganz neu (der eigentliche Artikel stammt aus 2011, und geht auf eine Rede aus 2003 zurück) und er ist nicht ohne Schwachpunkte. Die Grundidee funktioniert beim Entwurf technischer Produkte aber sehr gut.

Marktsegmentierung

Bei der Segmentierung von Märkten werden Kundenmerkmale anhand relevanter Kriterien zu Gruppen zusammengefasst. Jede so entstehende Gruppe hat ähnliche Bedarfe, oder die Mitglieder der Gruppe sind aus anderen Gründen ähnlich.

Statt Produkte für ganze Märkte oder gar für Einzelpersonen zu entwerfen, erlauben solche Segmente, ein standardisiertes Angebot für ähnliche Nutzer.

Oft werden in der Praxis die Marktsegmente anhand einfach zu beschaffenden, demographischen Daten gebildet, wie beispielsweise dem Geschlecht, Alter, Zugehörigkeit zu einer Gruppe, o.ä, auch wenn die Kriterien nicht unbedingt etwas damit zu tun haben, aus welchen Gründen sich jemand für ein Produkt interessiert.

Milkshake Marketing

Die Grundidee in „Clay Christensen’s Milkshake Marketing“ (Links, siehe anbei), erschienen in der „HBS Working Knowledge“ ist im Grunde genommen recht einfach. Statt Märkte nach diesen üblichen Kriterien zu segmentieren, sollte man die Segmente eher aus den Anforderungen ableiten, welche die Verbraucher an die Produkte stellen („Get the job done“-Sicht).

Er zeigt den neuen Ansatz beispielhaft anhand der Segmente, die sich in einer Firma ergeben, die untersucht, warum Konsumenten morgens einen Milkshake kaufen (nämlich, um auf der Reise zur Arbeit etwas in der Hand zu haben).

Als Begründung gegen die herkömmliche Segmentierung/ pro Segmentierung nach „Job done-Sicht“ führt er an, daß die künstlichen Kriterien nichts über die Nutzer sagen, und, daß sie deshalb ungeeignet sind, um innovative Produkte zu schaffen. Er beweist den wirtschaftlichen Nutzen eines neuen Ansatzes mit der Aussage, daß 95% aller neuen Produkte scheitern.

Der vielleicht wichtigste Satz aus dem Artikel zeigt den Ansatz, und wohin die Grundidee führt, recht anschaulich:

„Christensen also cites the importance of „purpose branding“—building an entire brand around a particular job-to-be-done. Quite simply, purpose branding involves naming the product after the purpose it serves.“

Kritik am Milkshake Marketing

Der Ansatz, und das Beispiel, das Christensen gibt, ist nicht brandneu, und nicht ohne Kritik. So zeigt z.B. Tony Ulwick in „Innovation Fail – Milkshake Marketing“ Kontrapunkte auf:

„We have the utmost respect for Christensen, who has been a steadfast advocate of jobs-to-be-done thinking for nigh on a decade. However, our own two decades of experience with jobs-to-be-done thinking compel us to point out that his milkshake marketing example is fundamentally flawed. The flaws show just how hard it is to apply jobs-to-be-done thinking correctly and to launch successful innovations as a result.“

Er führt in seiner Kritik weiter aus, daß der originale Ansatz zwei Schwachpunkte besitzt.

Zum einen ist es oft keine einfache Aufgabe, den korrekten „job to be done“ zu identifizieren, obwohl gerade dies von zentraler Bedeutung für die Innovation ist, die daraus entstehen soll:

„Identifying the job correctly is critical because everything else in the innovation process (identifying the customer needs, segmenting the market, sizing the growth opportunity, generating feature ideas, creating messages, etc.) depends upon that first step.“

Der zweite Kritikpunkt betrifft die Fragerichtung, anhand derer das Kernproblem identifiziert wird.

Eigentlich müßte das Augenmerk nicht auf der Frage liegen „was leistet das Produkt aus Sicht des Nutzers“, sondern eher auf der umkehrten Sicht: „Welches Problem stellt sich, und welche unterschiedlichen Handlungsnotwendigkeiten ergeben sich daraus für die Nutzer„.

„Now for the second problem: market segmentation. After identifying the job-to-be-done, we segment the market based on differing ways in which customers (the job executors) struggle to execute the job. We segment markets to identify under- and overserved customers and new opportunities to pursue. So we always start with the job-to-be-done and then segment the customers (the job executors) to determine if and how they struggle differently when executing the job.“

„Christensen’s does the opposite, and this is a mistake. Instead of asking, “What job are people trying to get done when they stop at the quick-service restaurant in the morning?” he asks, “What job are people hiring a milkshake to do for them?”

Nutzerorientierte Technologie

Ein Ansatz, der beide Fragerichtungen miteinander verbindet (und mit dem ich gute Erfahrungen gemacht habe) stammt aus der Feder von Sean Van Tyne in seinem Artikel „Defining and Designing Technology for People„.

In diesem Ansatz identifiziert man die Segmente, indem man sich folgende Fragen zur beobachteten Handlung stellt„wer„, will „warum„, „was„, und „ wie“ erreichen.

Man kommt dann zur Lösung, indem man bestimmt, „welche Aufgaben„, „Aktionen„, und „Operationen“ erforderlich sind, um dieses Ziel (des Nutzers) zu erreichen.

Wie das folgende Zitat zeigt, orientiert ich diese Vorgehensweise demnach an der „Aktivität“ und nicht an der Person. Nur mit dieser Blickrichtung kann man richtig verstehen, welche Bedarfe die Kunden wirklich haben.

„Dr. Donald Norman has suggested a hierarchical structure of activities, tasks, actions, and operation2 to better understand our customers’ interactions with solutions. In this model, activities are comprised of tasks, which are comprised of actions, and actions are made up of operations. This “activity-centered” philosophy is focused on the activity—not the person. If a customers’ suggestion fails to fit the design model, it should be discarded. Too many companies, proud of listening to their customers, will include requested features that do not really solve the bigger market problems. Only by observing our customers activities—interactions with our products—do we really understand customer’s needs.“

Weiterführende Informationen

Das Original dieses Artikels ist auf Der Produktmanager erschienen (©Andreas Rudolph). Folgeartikel zum Thema gibt es über die (→Mailingliste), oder indem Sie →mir auf Twitter folgen.

In der Online Version des Artikels finden Sie hier die versprochenen weiterführenden Links:

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